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Finanzspritzen aus dem Internet boomen

Immer mehr Privatleute und Unternehmen nutzen spezialisierte Internetplattformen, die Spenden für ideelle Projekte sammeln, Kredite vermitteln oder Unterstützung von Wagniskapitalgebern organisieren.

ZHAW-Impact Nr. 38 vom September 2017

In weniger als drei Wochen trug der 26-jährige Student Donat Kaufmann aus Baden 147‘271 Franken für ein ganzseitiges Inserat auf der Titelseite der Gratiszeitung «20 Minuten» zusammen – als Protest gegen SVP-Werbung an derselben Stelle. Der blondgelockte Gitarrist mit Wollmütze, der Germanistik studiert und auf einem Bio-Bauernhof arbeitet, warb auf der Internetplattform Wemakeit.ch für sein Anliegen. «Genial! Hammer Aktion», jubelte ein Zeitgenosse in den ersten Kommentaren. 12‘268 Personen unterstützten das Projekt mit durchschnittlich 12 Franken. «Aufmerksamkeit kann man kaufen. Unsere Stimmen nicht», verkündete die «20 Minuten»-Titelseite schliesslich am 14. Oktober 2015.

Die Macht von Crowdfunding

So rasch hatte in der Schweiz noch kein unbekannter Idealist aus dem Stand heraus ein solches Projekt gestemmt. Die Aktion lieferte ein Exempel für die Macht von Crowdfunding, also das Sammeln von Geld für ein Projekt über das Internet. Crowd steht dabei für den Schwarm oder die Masse der Internetnutzer, die über spezialisierte Plattformen angesprochen werden. «Das Wachstum in diesem Bereich ist rasant», unterstreicht Fabian Danko vom Institut für Financial Management der ZHAW School of Management and Law. 2015 wurden in der Schweiz 1342 Projekte mit einer Summe von 28 Millionen Franken über Crowdfunding finanziert. 2016 waren es schon gut vier Mal mehr, nämlich 128 Millionen Franken. Und für 2017 erwartet Danko 350 bis 400 Millionen Franken.

Die Plattformen verschaffen Resonanz. Umso besser, wenn dann auch Zeitungen darüber berichten. Das geschieht oft bei Projekten, die um Spenden werben. Zu diesem Bereich, dem Donating, gehört auch «Neustart für Dario», der seit einem Skiunfall querschnittgelähmt ist. Die Aktion auf 100-days.net brachte 2016 über 200‘000 Franken für eine behindertengerechte Wohnung in Lenzerheide GR ein. Beliebt sind auch Kampagnen, die eine nichtmonetäre Gegenleistung anbieten, also sogenanntes Crowdsupporting. Das kann Alpkäse sein, den eine Bergbauernfamilie als Gegenleistung für die Unterstützung beim Bau eines Stalles bietet – je nach Betrag kann es auch eine CD oder ein Konzert im eigenen Wohnzimmer beim Support eines Liedermachers sein. 

Geld für Qualitätsjournalismus

Wie gut Crowdfunding funktioniert, demonstrierte auch Saas Fee. Letzten Herbst bot die Walliser Tourismusdestination eine Wintersaisonkarte für 222 statt 1050 Franken an. Bedingung war, dass innert fünf Wochen mindestens 99‘999 Gäste zugreifen. Das klappte. Und die Rechnung ging auf, die Zahl der Logiernächte legte im ersten Halbjahr 2017 über ein Drittel zu – der Schweizer Durchschnitt liegt bei plus 4 Prozent. Gar einen «Weltrekord für journalistisches Crowdfunding» vermeldete im April das Medienprojekt «Republik», das unabhängigen Journalismus zur Rettung der Demokratie betreiben will. Gesucht waren 3000 Abonnentinnen und Abonnenten und 750‘000 Franken – schon am zweiten Tag waren zwei Millionen Franken zusammen.

«Derzeit sind in der Schweiz rund 50 Crowdfunding-Plattformen aktiv», so Fabian Danko. Zu den bekannteren gehören die beiden 2012 gegründeten Schweizer Plattformen Wemakeit.ch und 100-days.net oder die US-Plattform Kickstarter.com. Sie haben sich auf ideelle Projekte im Bereich Donating und Supporting spezialisiert und vereinnahmen Gebühren zwischen 6 und 10 Prozent des gesammelten Betrags. Mit einem Anteil von unter 15 Prozent an den letztes Jahr vermittelten 128 Millionen ist dieser Bereich nicht sehr bedeutend.

«Derzeit sind in der Schweiz rund 50 verschiedene Crowdfunding-Plattformen aktiv.»

Fabian Danko

Die Musik spielt vor allem bei den kommerziellen Projekten. Dabei geht es um profane Beschaffung von Kapital für Startups (Beispiel: Investiere.ch, Raizers.ch), um die Vorfinanzierung ausstehender Rechnungen (Beispiel: Advanon.ch) oder um die Vermittlung von Krediten für Unternehmen und Private (Beispiele: Cashare.ch, Creditgate24.ch, Lend.ch, Swisspeers.ch). Vor allem Letzteres, das sogenannte Crowdlending, boomt. Da sucht zum Beispiel ein Geschäft 80‘000 Franken für den Ladenumbau oder eine junge Berufsfrau 15‘000 Franken für eine Weiterbildung, rückzahlbar über einige Jahre mit attraktiver Verzinsung. Mehrere Anleger stellen Geld zur Verfügung. «Dieser Teilbereich des Crowdfundings ist mit Abstand am stärksten gewachsen», sagt Fabian Danko. 2016 stieg das Volumen gegenüber dem Vorjahr um 600 Prozent auf 55 Millionen Franken an.

Mehr als die Hälfte davon entfällt auf Unternehmenskredite. Warum? Für kleinere Unternehmen ist es nicht einfach, einen Bankkredit zu erhalten. Unter 100‘000 Franken lohnt sich das Geschäft für eine grosse Bank meist nicht. Und den jungen Firmen machen es die Risikoprüfer schwer, weil sie normalerweise Vergangenheitswerte in Form von zwei aussagekräftigen Jahresabschlüssen verlangen. «Ein Unternehmen, das nicht drei Jahre am Markt ist, blitzt in der Regel ab», erläutert Danko. Crowdlending-Plattformen sind flexibler. Teure Bankinfrastrukturen brauchen sie nicht. Mit effizienten digitalen Prozessen sind sie auf kleine Beträge spezialisiert und vermitteln Gelder direkt zwischen Kreditnehmern und Investoren. Sie punkten, indem sie einen Zins anbieten, der für beide Seiten attraktiv ist.

Crowdfunding ist für Anlegerinnen und Anleger eine sinnvolle Ergänzung zu sonstigen Anlagemöglichkeiten.»

Fabian Danko

Die 2008 lancierte älteste Schweizer Plattform Cashare finanzierte bislang mehr als 1500 Kredite an Private und Unternehmen. Der Durchschnittszins lag bei 7,1 Prozent. Für herkömmliche Kredite muss oft  mehr bezahlt werden. Höher schlägt auch das Herz der Anleger, die frustriert sind über den kümmerlichen Ertrag auf ihrem Bankkonto, der erst noch von Gebühren aufgefressen wird. Selbst nach den Plattformkosten – bei Cashare 1,5 Prozent, hälftig unter Anlegern und Kreditnehmern aufgeteilt – bleibt im Crowdlending mehr. Langfristige durchschnittliche Nettorenditen liegen zwischen 4 und 6 Prozent.

Nicht ohne Risiko

Ohne Risiko geht das nicht. Ein Anleger berichtet, wie er eines Tages leer geschluckt habe, als sein Crowdlending-Konto eine Rendite von minus 21,9 Prozent anzeigte, weil bei einem Kredit schon die ersten beiden Monatsraten von 62,95  Franken ausblieben. Nach einer Betreibung durch die Plattform zahlte der Schuldner wieder, die Rendite wechselte wieder ins Plus. Die Plattformbetreiber betonen, dass sie alle Kreditanträge sorgfältig prüfen und die meisten ablehnen. Die Ausfallquote ist tief. Bei Cashare sind es laut Mitgründer Michael Borter nur «rund 1 Prozent». Fabian Danko stuft Crowdfunding als «sinnvolle Ergänzung zu sonstigen Anlagen» ein. Es sei allerdings anspruchsvoll, das Risiko einer Investition richtig einzuschätzen. Das A und O sei – wie in allen Anlagekategorien – eine ausgewogene Streuung des Kapitals. Der ZHAW-Experte geht davon aus, dass der Boom im Bereich Crowdlending noch weiter anhalten wird: «Das Marktpotenzial im Business-Bereich wird auf rund 10 Milliarden Franken geschätzt.» Für den nächsten Wachstumsschub sorge die anlaufende Vermittlung von Hypotheken, etwa durch Crowdhouse.ch, aber auch der Wegfall einer regulatorischen Hürde. Der Bundesrat strich im Juli die Bestimmung, dass maximal 20 Darlehensgeber für einen KMU-Unternehmenskredit zulässig sind. Grössere Kreditsummen sind nun besser finanzierbar.

Konkurrenz für Banken?

Entwickelt sich Crowdfunding zu einem ernsthaften Rivalen der Banken? Fabian Danko relativiert. Betrachte man das Volumen von Blankokrediten in der Schweiz, so mache Crowdlending noch kaum 1 Promille aus. «Die grossen Banken sind strategisch anders ausgerichtet», sagt er. Komplizierte Abwicklungsprozesse mit kleinen Beträgen seien für sie zu mühsam. Selbst bei starkem Wachstum werde Crowdfunding für sie deshalb nicht bedrohlich, sondern höchstens interessant – um die Angebote beispielsweise für die eigenen Kunden über eine Metaplattform zugänglich zu machen.

Autor: Thomas Müller

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