Eingabe löschen

Kopfbereich

Schnellnavigation

Hauptnavigation

Elektroingenieurin Marina de Queiroz Tavares: Immer auf Empfang

Prozessor? Schaltung? Signal? Die Elektroingenieurin Marina de Queiroz Tavares gehört zu den wenigen Frauen, die sich damit auskennen. Als Diversity-Beauftragte der School of Engineering will sie auch den weiblichen Nachwuchs für Technik begeistern.

Auszug aus ZHAW-Impact vom Dezember 2017

Bevor sie die Dozentenstelle erhielt, wurde Marina de Queiroz Tavares auf die Probe gestellt. Die Departementsleitung drückte ihr ein dickes Buch in die Hand und trug ihr auf, eine Probelektion vorzubereiten. Die Kandidatin nahm an, diese Präsentation finde im kleinen Kreis statt, und merkte erst kurz vorher, dass sie vor einer ganzen Klasse auftreten sollte. Marina de Queiroz Tavares schluckte leer, atmete durch, vervielfältigte die Unterlagen, legte los – und überzeugte.

Seither arbeitet sie als Dozentin für Signalverarbeitung und Nachrichtentechnik an der School of Engineering und trifft mit ihrem Fach einen Nerv der Zeit: Zusammen mit den Studierenden erforscht und entwickelt sie Lösungen für die Signalauswertung von digitalen Telekommunikations- und Messsystemen. Wer wissen will, wie ein Smartphone aufgebaut ist oder ein GPS-Modul funktioniert, ist bei Marina de Queiroz Tavares richtig. «Ein Handy hat heute bis zu 10'000-mal mehr Leistung als der Computer, der die Apollo-Mondlandung steuerte», sagt sie und gibt damit auch gleich zu verstehen, worin für sie die Faszination des Fachs besteht.

Dabei sieht sich die 46-Jährige nicht als typische Akademikerin: Probieren, experimentieren, anwenden – das ist es, was sie antreibt, und darauf basiert auch ihr Lehrkonzept, mit dem sie innerhalb der ZHAW für Aufsehen sorgte: «Ich lege grossen Wert auf projektbasiertes Lernen», so Marina de Queiroz Tavares, «wenn Theorie sofort angewendet wird, ist das motivierend und sorgt für Erfolgserlebnisse.» Bei ihr müssen die Studierenden die im Team gelernten Inhalte in Praxisprojekten anwenden und die Ergebnisse präsentieren. Für ihr praxisbezogenes Lehrkonzept wurde sie mit dem ZHAW-Lehrpreis ausgezeichnet, der für herausragende Lehrkonzepte verliehen wird.

Frühe Begeisterung für die Welt der Technik

Das Interesse für Technik wurde Marina de Queiroz Tavares quasi in die Wiege gelegt. Diese schaukelte in Campinas, einer Universitäts- und Industriestadt in der Nähe der brasilianischen Grossstadt São Paulo. Die Mutter ist Biologin, der Vater Elektroingenieur; beide arbeiteten an der Universität von Campinas und boten der Tochter schon früh Einblicke in die Welt der Wissenschaften. Sie folgte ihrem Drang, Neues zu lernen, und liess sich vom Vater mit der Leidenschaft für Elektrotechnik anstecken. Er vermittelte ihr von Kindsbeinen an Wissen über die Errungenschaften des Ingenieurwesens, vom Erfinder Thomas Edison bis zur Mondlandung.

Auch das brasilianische Schulsystem, das es Kindern ermöglicht, schon früh eine technische Richtung einzuschlagen, leistete seinen Beitrag: Mit 13 Jahren trat Marina de Queiroz Tavares ins technische Gymnasium ein – eine Tagesschule, die ihrem Modus Operandi voll entsprach: Morgens stand Theorie auf dem Stundenplan, nachmittags wurde das Gelernte im Labor angewendet. Dass sie an der Universität Unicamp in Campinas Elektrotechnik studierte, war nur folgerichtig. Als Frau gehörte sie in ihrem Fach stets zur Minderheit, aber eine Rolle gespielt hat das für sie kaum: «Ich habe mich nie allein gefühlt», meint sie lakonisch, «an der ganzen Uni hatte es ja genug Frauen.»

Dreimal ging sie für ein Austauschsemester ins Ausland, zuerst nach Kolumbien, dann in die USA und schliesslich nach Frankreich, wo sie am Institut National des Sciences Appliquées de Lyon das letzte Studienjahr verbrachte. Für ihr Masterprojekt in Mikroelektronik kam sie mit dem Elektronikkonzern Philips in Kontakt und erhielt in dessen Entwicklungsabteilung im nordfranzösischen Caen ihren ersten Job. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Produkte – namentlich integrierte Schaltungen von Satellitenempfängern – von der Idee zur Marktreife zu bringen. Es fand gerade die wichtige Umbruchphase von analog zu digital statt.

Im Jahr 2000 zog Marina de Queiroz Tavares in die Schweiz. Zunächst arbeitete sie bei Philips in der Entwicklung von integrierten Schaltungen für Handyprozessoren, 2007 trat sie in die School of Engineering der ZHAW ein. Inzwischen hat sie drei Kinder und arbeitet Teilzeit; derzeit sind es 75 Prozent. Einen Teil ihrer Arbeitszeit wendet sie für ihr Amt als Diversity-Beauftragte auf, dessen Dringlichkeit Tag für Tag am Arbeitsplatz offenkundig wird: Marina de Queiroz Tavares ist die einzige Dozentin am Zentrum für Signalverarbeitung und Nachrichtentechnik und unterrichtet ausschliesslich Männer. 

Frauen in Technikberufen: ein Generationenprojekt

Noch immer steht die Frage im Raum, wann Frauen in technischen Disziplinen endlich vorwärtskommen. «Es passiert nicht von heute auf morgen», mahnt sie, «dies ist ein Generationenprojekt.» Entscheidend sei, den weiblichen Nachwuchs in den kritischen Phasen zu motivieren: Etwa im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren, denn mit der Pubertät erlahmt bei den Mädchen erfahrungsgemäss auch das Interesse an Wissenschaften. «Wir müssen Mädchen in frühen Jahren ein positives Schlüsselerlebnis in den MINT-Fächern vermitteln», fordert Marina de Queiroz Tavares. Oder beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei dem viele gut ausgebildete Frauen aussteigen, weil sie keine passende Stelle finden. Frauen und Arbeitgeber seien gefordert: «Die Frauen müssen sich überlegen, welche Arbeit attraktiv ist. Und die Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie attraktive Arbeitgeber sein können.»

Marina de Queiroz Tavares hat mit Partnern eine Reihe von Förderinitiativen entwickelt, die nun umgesetzt werden. Dazu gehört der mit Pro Juventute veranstaltete Ferienplausch «Faszination Technik» – ein dreitägiges Programm für Schülerinnen und Schüler zwischen 11 und 14 Jahren. An der School of Engineering können die Kids eine App programmieren, eine Powerbank bauen oder einen solarbetriebenen Mini-Roboter konstruieren.

Auch die Kinderuniversität Winterthur will den Nachwuchs auf lockere Art und Weise an Naturwissenschaft und Technik heranführen. Die ZHAW unterstützt die Kinderuni, indem sie Hörsaal und Infrastruktur für die alle zwei Wochen stattfindenden Vorträge zur Verfügung stellt und Dozenten aufbietet. Marina de Queiroz Tavares referierte selbst vor 300 Kindern zum Thema «Dein Handy, ein faszinierender Alleskönner».

Erleichterter Eintritt in die School of Engineering

Zwei weitere Initiativen setzen bei höheren Jahrgängen an. So sollen junge Frauen (und Männer) aus nicht-technischen Fachrichtungen nach der Matur oder der Berufsmatur für eine MINT-Laufbahn gewonnen werden. Nach einem Übergangsjahr soll ihnen der Eintritt in die School of Engineering erleichtert werden. Ausserdem wird eine Zusammenarbeit zwischen der School of Engineering und drei weiteren technischen Fachhochschulen aufgebaut mit dem Ziel, Studentinnen in der Karriereplanung zu unterstützen und die Industrie für das Thema Work-Life-Balance zu sensibilisieren.

Für Marina de Queiroz Tavares beginnt nach vielen Events und Projekten, die sich an Schülerinnen richten, eine neue Phase, in der auch Primar- und Sekundarlehrer an Technikthemen herangeführt werden sollen. So lernten am Kick-off-Event der Initiative «Let’s-App» von Ende Oktober Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen Seite an Seite, eine App zu programmieren. Um die Mädchen an Workshops nicht zu benachteiligen, geht sie bei den Anmeldungen nach Quote vor. Eine Hälfte der Plätze wird an Jungen vergeben, die andere an Mädchen. Meist gibt es eine Warteliste für Jungen, während es für Mädchen freie Plätze hat. Aber Marina de Queiroz Tavares hält das Mädchen-Kontingent bis zuletzt offen: «Ich bin hartnäckig – und es funktioniert!»

Autorin dieses Beitrags: Corinne Amacher

Aktuelle Ausgabe ZHAW-Impact Nr. 39

 «Wahrheiten» lautet das Dossierthema der aktuellen Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact. Eine Auswahl der Themen: Was ist wahr an Fake News? Was ist Wahrheit überhaupt? Wie halten Sie es mit der Wahrheit und wer ist heute noch glaubwürdig? Wahr ist etwas immer nur solange, bis es andere widerlegen und neue Erkenntnisse liefern. In diesem Magazin wollen wir Ihnen also keine alternativen Fakten, sondern Alternativen zu Fake News bieten.

Interessiert? Hier können Sie das Impact kostenlos abonnieren: