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Dozentin Marion Huber: «Ich hatte meist mindestens zwei Jobs gleichzeitig»

Für die interprofessionelle Lehre am Departement Gesundheit ist Marion Huber prädestiniert: Von Haus aus Physiotherapeutin, hat die heutige Professorin Erfahrungen in diversen Berufen, wie ein Beitrag in der aktuellen Ausgabe des ZHAW-Impact zeigt.

ZHAW-Impact Nr. 34 vom September 2016

Wenn Marion Huber von all ihren Ausbildungen und Berufserfahrungen erzählt, bekommt man den Eindruck, sie habe schon drei Leben hinter sich. Doch die Dozentin am Departement Gesundheit ist gerade mal 50 Jahre alt. «Ich war schon immer total neugierig», sagt Huber. Besonders wichtig ist ihr ein ganzheitlicher, transdisziplinärer Ansatz. Dies sei wohl auch der Grund gewesen, wieso sie 2008 angefragt wurde, die Ausbildung in den vier Gesundheitsberufen mitzugestalten. Mittlerweile ist Huber stellvertretende Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis, Verantwortliche für studiengangübergreifende Module sowie Fachverantwortliche und Dozentin für die Wissenschafts-Module.

Das Departement Gesundheit legt grossen Wert auf gemeinsame Lehrveranstaltungen für alle seine vier Berufsrichtungen. Bereits am dritten Tag nach Beginn des Studiums sitzen angehende Pflegefachleute, Hebammen, Physio- und Ergotherapeuten in derselben Vorlesung und lösen in gemischten Gruppen ihre erste Aufgabe. «Es ist wichtig, eine gemeinsame Sprache zu sprechen», sagt Marion Huber, die ursprünglich Physiotherapeutin gelernt hat. Zwar müsse jede Berufsgruppe auch einen eigenen Dialekt entwickeln. Doch für eine reibungslose Zusammenarbeit im Spital oder einer anderen Institution sei es unumgänglich, einander zu verstehen und zu wissen, wie die anderen Berufsvertreterinnen funktionieren. «Alle sollten über die eigene Nasenspitze hinausdenken», findet Huber. Am liebsten wäre ihr ein gemeinsames Basisjahr, wie es etwa Länder wie Schweden und Australien bereits für zahlreiche verschiedene Gesundheitsberufe kennen.

«Alle sollten über

die eigene Nasenspitze hinausdenken.»

Marion Huber, Physiotherapeutin, Fachverantwortliche und Dozentin am Departement Gesundheit

Wie das berufsübergreifende Arbeiten funktionieren kann, hat Huber in der Rehabilitationsklinik Rehab Basel erfahren. Vor dem Wechsel an die ZHAW arbeitete sie während zwölf Jahren auf der Wachkomastation in einem interprofessionellen Team. Dort haben alle Berufsvertreterinnen die gleichen Aufgaben zu erfüllen. Als Physiotherapeutin übernahm Huber auch die Körperpflege und gelernte Pflegefachleute mobilisierten die Patienten.

«Natürlich gab es auch hin und wieder Grabenkämpfe», räumt Huber ein. Die Teamleiterin sei stark gefordert gewesen. Funktioniert habe es unter anderem dank der ausführlichen gemeinsamen Besprechung täglich zu Arbeitsbeginn.

Master in Neurowissenschaften

Gleichzeitig zum fordernden Job studierte die Wissensdurstige Psychologie an der Universität Basel. Einen Bezug zur beruflichen Tätigkeit schaffte sie mit ihrer Masterarbeit im Fachgebiet Neurowissenschaften: Sie entwickelte ein interdisziplinäres Beobachtungsinstrument für Menschen im Wachkoma, das heutzutage in diversen Institutionen in der Schweiz und in Deutschland eingesetzt wird. Vor zwei Jahren validierte sie das Instrument im Rahmen ihrer Doktorarbeit. Hierzulande erhalten jährlich rund 40 Personen die Diagnose Wachkoma – in der Fachsprache: apallisches Syndrom. Es handelt sich um eine schwere Hirnverletzung aufgrund eines Unfalls oder einer anderen Ursache wie etwa nach einer lang andauernden Wiederbelebung. Die Betroffenen wirken wach, sind aber nicht fähig zu kommunizieren. Einzelne zeigen Reaktionen auf Reize. Das von Marion Huber entwickelte interprofessionelle Instrument erlaubt es, die intuitiven Wahrnehmungen der Betreuungspersonen zu objektivieren. «Ich will den Patienten eine Stimme geben», beschreibt die heutige Professorin ihre Motivation.

Therapie für Wachkoma-Patienten

Denn bei allem, was die umtriebige Frau in ihrem Leben schon angepackt hat, ist die Betreuung von Patienten mit schwerer Hirnverletzung seit mehr als 20 Jahren die grosse Konstante. Und über das wissenschaftliche Interesse hinaus ist es ihr ein Anliegen, die Lebensqualität dieser Schwerstbeeinträchtigten zu verbessern. Auch heute noch reist sie etwa einmal pro Monat nach Basel, um in der Rehabilitationsklinik mit den Wachkoma-Patienten in Kontakt zu bleiben. Huber, die um die Jahrtausendwende auch noch eine dreijährige Ausbildung zur Heilpraktikerin absolviert hat, versucht über die Körperebene einen Zugang zu diesen Menschen zu finden. Dabei kommen zum Beispiel Berührungen, sanftes Bewegen, Atemlenkung, Aroma-Öle oder auch Musik zum Einsatz. «Die Betroffenen haben ein schweres Psychotrauma erlitten. Sie leben noch, sind aber andere Menschen», erklärt Huber. Mit ihren Interventionen möchte sie den Patienten und ihren Angehörigen den Umgang mit ihren Gefühlen erleichtern. Obwohl sie mit ihrem Engagement bei anderen Fachpersonen häufig auf Unverständnis stösst, hält sie an ihrem Fernziel fest: Sie möchte einen psychotherapeutischen Ansatz für diese Menschen entwickeln.

«Wachkoma-Patientinnen und -Patienten leben noch, sind aber andere Menschen.»

Marion Huber, Physiotherapeutin, Fachverantwortliche und Dozentin am Departement Gesundheit

Physiotherapeutin war nicht der absolute Wunschberuf von Marion Huber: «Ich entschied mich dafür, weil mir nichts anderes eingefallen ist.» Die im Wallis aufgewachsene Deutsche lernte an einer renommierten, aber ziemlich rigiden staatlichen Schule in Deutschland, die einen Schwerpunkt auf physikalische Therapien mit Wärme und Wasser setzte. Ein ganzheitliches Menschenbild fehlte, man fokussierte auf einzelne Organe. Auch wissenschaftliche Aspekte kamen in der damaligen Ausbildung noch kaum vor. «Es war langweilig und ich tat mich schwer mit den vielen Regeln», blickt die heutige Dozentin zurück. Interessanter wurde es mit den diversen Zusatzausbildungen, die Huber in Angriff nahm. So eignete sie sich die Lymphdrainage an sowie die facio-orale Trakttherapie, mit der bei hirnverletzten Patienten das Schlucken angeregt wird. 

«Gerne nehme ich mir Zeit, mit Studierenden zu diskutieren.»

Marion Huber, Physiotherapeutin, Fachverantwortliche und Dozentin am Departement Gesundheit

Trotz eindrücklicher Karriere gab es in Hubers Leben auch Rückschläge. 2001 erkrankte sie nach einem Zeckenbiss an Borreliose, was zu einer vorübergehenden Halbseitenlähmung führte. Mehr als ein Jahr lang war sie arbeitsunfähig. Kaum hatte sie sich wieder erholt, erlitt die Schneesportbegeisterte einen Unfall beim Snowboarden. Eine Unterschenkelfraktur mit Nerven- und Blutgefässverletzung hielt sie ein weiteres Jahr vom Arbeiten ab. Der Wiedereinstieg in der Rehabilitationsklinik war schwierig. Nach sechs Monaten folgte Huber der Einladung eines Patienten nach Griechenland und arbeitete für ihn drei Monate als Privat-Physiotherapeutin. Danach begann sie ihr Studium. Diese Erfahrungen prägen den Umgang der Dozentin mit den Studierenden. Zum Beispiel, wenn sie Lernende aller vier Berufsrichtungen bei Bachelor- oder Gruppenarbeiten betreut. Häufig ist sie auch noch am Abend im Gebäude an der Eulach anzutreffen. Gerne nehme sie sich Zeit, um mit den Studierenden zu diskutieren und sich ihren Anliegen anzunehmen, sagt Marion Huber: «Solche Besprechungen können manchmal Stunden dauern.»

Autorin: Andrea Söldi