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Automation und Digitalisierung: Das Labor der Zukunft

Die Biotechnologie-Labore der ZHAW sind mit Geräten der allerneusten Generation ausgestattet. Im Labor 4.0 werden auch bereits die Studierenden ausgebildet.

Vollautomatisiertes Bioreaktorsystem aus Edelstahl für Entwicklungs- und Pilotstudien inklusive der zugehörigen Steuereinheit (rechte Hälfte). Die Pumpen (unter den Monitoren) dienen der automatischen Zuführung z.B. von Nährmedien in den Bioreaktor. Daneben sieht man noch (blau gerahmter Monitor) eine Basis-Station für ein Sensorsystem, welches das Wachstum der Zellen im Bioreaktor überwacht.

Bioreaktoren, Messgeräte, Bildschirme und viele, viele Kabel: Auf den ersten Blick sieht der Raum GB 205 am ZHAW-Departement für Life Sciences und Facility Management in Wädenswil aus wie ein ganz normales Biotech-Labor. Doch zwei Dinge sind hier besonders. Erstens dient das Labor gleichzeitig der Lehre und der Forschung. Schon Studierende der untersten Stufen dürfen hier in ihren Praktika Maschinen bedienen, die bis zu einer halben Million Franken kosten.

Studienabgänger sind gefragt

«Die ZHAW verfolgt die Strategie, die Studierenden von Anfang an mit der allerneusten Technik in Berührung kommen zu lassen», sagt Lukas Neutsch, Dozent und Leiter der Fachgruppe Bioprozesstechnologie. «Das gibt es nicht an vielen Hochschulen, dass bereits Bachelor-Studierende mit solch professionellen Systemen arbeiten können.» Doch es lohne sich, denn die Studienabgänger seien gefragt, eben weil sie viel Erfahrung mit Technologien haben, die auch in der Industrie zum Einsatz kommen.

Zweitens ist das Labor GB 205 hochgradig vernetzt, digitalisiert und automatisiert. Bei einem Rundgang weist der Forschungsmitarbeiter Alex Hämmerli auf die QR-Codes an den verschiedenen Stationen hin. Wer sein Smartphone oder Tablet daran hält, bekommt Informationen eingeblendet – und zwar massgeschneiderte. «Wir haben hier viele Führungen mit unterschiedlichen Gruppen, von Schulklassen bis zu Industrievertretern», sagt Hämmerli. «Mithilfe der QR-Codes können wir sie gezielt informieren.» Weitere QR-Codes prangen auch an Feuerlöschern, Notdusche und Tür-Notverriegelung – sie liefern sicherheitsrelevante Informationen. So können Labor-Erstbenutzer einen dokumentierten Sicherheitsrundgang absolvieren, ohne dass eine weitere Person mitgehen und alles erklären muss.

Experimente von unterwegs steuern

Vor einem Bildschirm mit etlichen Grafiken bleibt Hämmerli stehen. «Hier läuft seit sieben Stunden das Experiment einer Masterstudentin», sagt er. «Sie versucht, mit Hefezellen bestimmte Proteine herzustellen.» Die Studentin ist nicht anwesend, und sie muss es auch gar nicht sein. Denn Druck, Temperatur und viele weitere Werte werden automatisch gemessen. Die Daten fliessen alle in ein Prozessleitsystem ein – ein Computerprogramm, in das sich Berechtigte von überall her einloggen können. So lassen sich Experimente auch von zuhause oder unterwegs steuern und kontrollieren.

Die Automatisierung geht aber noch weiter. «Hier vorne sehen Sie ein wirkliches High-End-Gerät, das imstande ist, in Bioreaktoren selbständig Proben zu ziehen», sagt Hämmerli. Durch die aus den Proben gewonnenen Daten nimmt es vollautomatisch notwendige Anpassungen im Prozess vor. Dies erfolgt wesentlich schneller und verlässlicher als von Hand, der gesamte Ablauf wird so reproduzierbarer und effizienter.

Menschliche Laboranten werden dadurch nicht überflüssig – es braucht sie, um die Experimente zu planen, zu programmieren oder im richtigen Moment umzustellen. «Aber es ist schon angenehmer, wenn man nicht die ganze Zeit danebensitzen muss, sondern dank der Fernüberwachung gezielt dann ins Labor kommen kann, wenn es nötig ist», sagt Hämmerli. Die Geräte und Programme, die all dies ermöglichen, stammen von der Firma Securecell AG in Schlieren, mit der die ZHAW-Biotechnologen eine enge Zusammenarbeit pflegen.

«Wir können aus dem Hörsaal direkt ins Labor schalten und Daten aus laufenden Experimenten auf dem Beamer einblenden.»
Lukas Neutsch, Dozent

Von der allumfassenden Vernetzung profitiert auch die Lehre. «Wir können aus dem Hörsaal direkt ins Labor schalten und Daten aus laufenden Experimenten auf dem Beamer einblenden», sagt Lukas Neutsch. Früher musste man sich dazu gruppenweise ins Labor begeben und die Messwerte von einem kleinen Reaktor-Monitor ablesen. Während der Praktika laufen die Daten von aktuellen Versuchen auch über einen Bildschirm im Aufenthaltsraum, damit die Studierenden nicht permanent im Labor stehen müssen. «Gleichzeitig simulieren wir so die Mobilität des späteren Arbeitslebens», sagt Neutsch. «Es kommt ja immer mehr vor, dass sich der Produktionsingenieur nicht mehr in der Produktionshalle befindet, sondern die Vorgänge, die im Extremfall vielleicht in China stattfinden, aus der Ferne überwacht.»

Auch was die Kommunikation betrifft, werden die Studierenden für den digitalen Wandel im Arbeitsalltag gerüstet. Expertenteams, die wichtige Entscheidungen treffen, sind heute oft weltweit verteilt, müssen aber dennoch effizient kommunizieren können. «Wir hatten festgestellt, dass Studierende in Praktika dazu neigten, WhatsApp-Gruppen zu bilden, wenn sie zusammen Experimente durchführen sollten», sagt Lukas Neutsch. So konnten sie wichtige Informationen weitergeben und Fragen diskutieren: «Ich habe grad den Reaktor umgestellt.» Oder: «Hier tropft es raus, ist das schlimm?»

Neue Kommunikationsmöglichkeiten

Doch WhatsApp hat den Nachteil, dass man ein privates Login benötigt. Und dass die Betreuer meist von der Kommunikation ausgeschlossen sind. «Darum haben wir etwas Professionelleres gesucht – und kamen auf Microsoft-Teams», so Neutsch. Diese Software hat den Vorteil, dass die Dozierenden mitlesen, Fragen beantworten und notfalls auch eingreifen könnten.
Biotechnologie und Big Data

All die neuen Möglichkeiten machen die Laborarbeit nicht nur schneller und bequemer, sondern auch sicherer. «Früher sind etwa oft Fehler passiert, wenn Daten von Hand in einen Computer eingegeben wurden – das gibt es dank der Automation nicht mehr», sagt Lukas Neutsch. Eine weitere Neuerung soll die Fehlerzahl nun zusätzlich reduzieren: die Augmented Reality («Erweiterte Realität»). Die ZHAW-Forscher planen eine Applikation, dank der einem Benutzer die Messwerte aller Sensoren ins Handy-Display eingeblendet werden, wenn sie die Kamera auf das Reaktorsystem richten. «Wir entwickeln das nicht, weil es cool aussieht», sagt Neutsch. «Es muss einen Mehrwert haben, und das ist in diesem Fall etwa das Vermeiden von Verwechslungen beim Ablesen oder ein vereinfachter Fern-Support durch Techniker.»

«Und ich bin überzeugt, dass künftig jene Personen besonders gesucht sein werden, die beides beherrschen, die Biotechnologie und die digitalen Werkzeuge der Big Data.»
Lukas Neutsch, Dozent

Überhaupt sind die ZHAW-Biotechnologen weit davon entfernt, alles toll zu finden, was irgendwie digital und vernetzt ist. «Ich habe viele Labor-Digitalisierungsprojekte scheitern sehen, wenn sie allein von Informatikern oder Automatisierungsexperten durchgeführt wurden», sagt Neutsch. «Um etwas Sinnvolles zu erhalten, muss man verstehen, woher die Messwerte kommen, da steckt ja Biologie dahinter.» Darum setze man auf eine solide Grundausbildung, und darum lernen die ZHAW-Studierenden auch immer beide Methoden: zuerst die altmodische, manuelle mit der Pipette und erst zu einem späteren Zeitpunkt die neue, digitale. «Es braucht beides», sagt Neutsch. «Und ich bin überzeugt, dass künftig jene Personen besonders gesucht sein werden, die beides beherrschen, die Biotechnologie und die digitalen Werkzeuge der Big Data.»

Autor: Mathias Plüss

Hochschulmagazin ZHAW-Impact

«Studium der Zukunft» lautet das Dossierthema der Dezember-Ausgabe des Hochschulmagazins ZHAW-Impact.

Eine Auswahl der Themen:
Individualisiertes und flexibles Lernen für die digitale Transformation – eine neue ZHAW-Teilstrategie begründet den Masterplan für die nächsten zehn Jahre. Kreativer, flexibler und aktueller, so stellt sich Leandro Huber, der Präsident der Studierendenorganisation VSZHAW, sein Studium der Zukunft vor. Die Lernfabrik an der School of Engineering erklärt das Prinzip Industrie 4.0. Im Biotech-Labor der Zukunft können Studierende ihre Experimente von unterwegs kontrollieren. Kreativ sein, ausprobieren, Fehler machen dürfen: Bei den Lernkonzepten «Service Design» und «Collaborative Online International Learning» steht Erfahrung im Fokus. Hybride Lebensläufe: Rafael Freuler – der einstige Internetunternehmer ist Quereinsteiger in die Soziale Arbeit. Halb real, halb online studieren mit Blended Learning. Mit Seamless Learning Brüche in der Lernbiografie verhindern. Lesen Sie weitere Beiträge über praxisorientiertes Studieren und Prüfungen der Zukunft.

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