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Wenn Senior:innen sich freiwillig engagieren

Fünf Thesen zur Frage: Was braucht es für ein erfolgreiches Freiwilligenmanagement älterer Menschen?

Freiwilliges Engagement im dritten Lebensalter: Senior:innen stellen als Schulassistenzen ihre Lebenserfahrung, Geduld und Zeit zur Verfügung – und sind sowohl bei Lehrpersonen wie auch bei Kindern sehr willkommen. (Bild: iStock)

von Konstantin Kehl, Sigrid Haunberger und Carmen Steiner

Freiwilliges Engagement ist eine zentrale Quelle des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Im Rahmen eines Forschungs- und Buchprojekts des Instituts für Sozialmanagement zeigte sich, dass es in den kommenden Jahren an den Vereinen, Stiftungen und Initiativen sein wird, aus der Vielfalt an Möglichkeiten das für sie und ihre Freiwilligen sowie Begünstigten «zweckmässige» Freiwilligenmanagement zu entwickeln.

Wo liegen die massgeblichen Potenziale? Und was gilt es dabei zu beachten? Fünf Thesen zum gegenwärtigen Stand und zur Zukunft des Freiwilligenmanagements in der Schweiz.

These 1: Strukturiert und zielgerichtet

Freiwilligenmanagement lohnt sich, muss aber adäquat – das heisst: strukturiert und zielgerichtet – umgesetzt werden. Eine Onlineumfrage der ZHAW Soziale Arbeit unter zivilgesellschaftlichen Organisationen der Deutschschweiz ergab, dass in den über 200 befragten Organisationen mehrheitlich bereits ein relativ gut entwickeltes Freiwilligenmanagement vorzufinden ist. Sie nutzen konkrete Strategien, Instrumente und Evaluationstools, um die Einsätze von Freiwilligen gezielter planen, koordinieren und überwachen sowie speziell Menschen im höheren Erwachsenen- und gesunden Rentenalter rekrutieren zu können.

Dabei zeigen sich massgeblich drei Muster:

  • Die Anwerbung von Freiwilligen erfolgt sehr häufig über «Mund-zu-Mund-Propaganda» oder die direkte Ansprache. Digitale Tools wie die Website oder soziale Medien gelten (noch) als weniger erfolgreich bei der Gewinnung und Ansprache als die analogen Alternativen. Demzufolge kommt den Freiwilligenkoordinator:innen und Altersbeauftragten in Städten, Gemeinden und Quartieren eine Schlüsselfunktion zu.
  • Versuche, Wertschätzung zu «materialisieren», etwa durch finanzielle Entschädigungen, scheinen immer nur flankierend zu einer allgemeinen Anerkennungskultur wirksam zu sein. Sie ersetzen den persönlichen Kontakt nicht.
  • Das Freiwilligenmanagement wird zwar oft noch «Kommissar Zufall» überlassen, aber gerade in sozialen und karitativen Organisationen geht es einher mit einem vergleichsweisen hohen Anspruch an Professionalität. Viele Organisationen weisen bereits Stellenprozente für die Koordination und Begleitung von Freiwilligen aus, oder entsprechende Aufgaben werden von Beschäftigten der Administration miterledigt.

These 2: In Zukunft mehr Freiwilligenmanagement

Freiwilligenmanagement wird sich in allen zivilgesellschaftlichen Organisationen zukünftig stärker verbreiten. Planung und Koordination von Einsätzen werden dadurch anspruchsvoller. Auch wird es zunehmend wichtiger, neben der Direktansprache auf digitale Tools zu setzen; das erhöht die Komplexität der Gewinnung und Begleitung von Freiwilligen. Auch Expert:innen sollten dem Freiwilligenmanagement zukünftig einen höheren Stellenwert beimessen, da es die Organisationen mit dem Dilemma zu tun haben, dass sie einerseits mit einer Welle von Babyboomern rechnen können, die sich im Alter möglichst sinnvoll betätigen wollen, aber andererseits dadurch auch die Optionen für die (potenziellen) Freiwilligen grösser werden und der Konkurrenzdruck seitens Organisationen steigt.

Für den Erfolg des Freiwilligenmanagements wird es darauf ankommen, die Balance zwischen einer gleichbleibend hochstehenden und verlässlichen Dienstleistungserbringung einerseits und den zunehmend eher punktuellen Mitwirkungswünschen der Freiwilligen andererseits zu meistern. Freiwillige sind per se eine schwieriger zu steuernde Ressource als bezahltes Personal. Die «neuen Freiwilligen» werden dahingehend beschrieben, dass sie sich immer öfters eher punktuell und projektbezogen beteiligen wollen, ein stärkeres Interesse an Partizipation und Selbstverwirklichung mitbringen, und traditionelle Loyalitäten sowie Pflichtwerte an Bedeutung verlieren.

These 3: Soziale Ungleichheit abbauen

Freiwilligenmanagement kann einen Beitrag zum Abbau von sozialer Ungleichheit im Freiwilligenengagement leisten. Untersuchungen zeigen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen in der Freiwilligenarbeit systematisch untervertreten sind. Zu diesen gehören insbesondere Personen mit einem Migrationshintergrund und Personen mit einem niedrigen formalen Bildungsniveau. Ebenso engagieren sich Männer häufiger als Frauen und Personen mit einem stabilen sozialen Netzwerk am Wohnort sowie solche mit einem hohen Vertrauen in Mitmenschen häufiger als solche, die oftmals den Wohnort wechseln beziehungsweise ein eher niedriges soziales Vertrauensniveau aufweisen.

Im Sinne einer vitalen und inklusiven Zivilgesellschaft sollten Organisationen verstärkt darauf achten, sozial benachteiligte Gruppen in besonderer Weise anzusprechen. Dazu benötigen Freiwilligenmanager:innen mehr Wissen zum Engagement dieser Bevölkerungsgruppen.

These 4: Kontinuierliches Engagement zählt

Bei der Rekrutierung von älteren Freiwilligen kommt es nicht auf den Pensionierungszeitpunkt an, sondern auf Kontinuität in der Engagementbiografie. In öffentlichen Diskussionen verengt sich der Blick oft auf den Zeitpunkt der Pensionierung. Jedoch verändert der Übergang in den Ruhestand weniger, als es die landläufige Meinung Glauben macht. Zumindest ist nicht der konkrete Zeitpunkt beziehungsweise das gesetzliche Rentenalter entscheidend, sondern es ist der Prozess in den Blick zu nehmen, innerhalb welchem sich Personen individuell auf die Pensionierung vorbereiten und schliesslich sukzessive in das «Seniorendasein» hineinwachsen.

These 5: Kooperation mit Gemeinden und Politik

Freiwilligenmanagement gelingt nur in enger Kooperation mit Gemeinden und der Politik. Auch wenn es derzeit in der Schweiz keine koordinierte Engagementpolitik auf nationaler Ebene gibt, kann beobachtet werden, dass sich das Freiwilligenmanagement sukzessive von der Binnenperspektive der Organisationen löst und stärker als Ressource in intersektorale, interprofessionelle Kooperationen mit Akteur:innen ausserhalb der Organisation eingebunden wird.

Im Alters- und Seniorenbereich findet bereits seit einigen Jahren ein Trend vom «konventionellen» Leben im Heim beziehungsweise im Paar- und Einpersonenhaushalt hin zu inklusiven und quartiersorientierten (gemeinschaftlichen) Wohn- und Lebensformen statt. In den vergangenen Jahren rückt hierbei zunehmend in den Fokus, wie Organisationen und Freiwillige dazu beitragen können, soziale Räume und Quartiere im Sinne von «Caring Communities» zu gestalten. Um das Funktionieren solcher sorgender Gemeinschaften gewährleisten zu können, sollten die Freiwilligen dort eingesetzt werden, wo es in der Abstimmung mit eigenen und Fremdanbietern von Dienstleistung sinnvoll ist.

Fazit und Ausblick

In der Zukunft wird es darauf ankommen, das bisher Erreichte zu konsolidieren, aber auch Herausforderungen tatkräftig anzugehen. Hierzu trägt unter anderem eine zuverlässige Sozialberichterstattung in Form von Bevölkerungsumfragen bei, wie sie mit den Schweizer Freiwilligen-Monitoren vorliegen. Mit der neuesten Ausgabe des Freiwilligen-Monitors wurden vertiefte Analysen zum freiwilligen Engagement in der zweiten Lebenshälfte vorgenommen. Zu den Themen, die in diesem Zusammenhang vermutlich weiterhin intensiv diskutiert werden, gehört die Frage angemessener Anerkennungsformen (z.B. der Gewährung von Aufwandsentschädigungen), aber auch der Evaluation von Freiwilligenarbeit und Freiwilligenmanagement und der Integration entsprechender Instrumente in übergeordnete Qualitätssicherungskonzepte und Wirkungsanalysen.

Das Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt wird in den kommenden Jahren Gegenstand von Debatten bleiben. Dabei gilt es auch, die Freiwilligenarbeit vor einer «Übernutzung» zu schützen, das heisst, keine überzogenen Ansprüche an die Engagierten heranzutragen.

Eine zentrale politische Koordinierung der Freiwilligenarbeit und des Freiwilligenmanagements ist eher unwahrscheinlich und entspräche nicht der schweizerischen Kultur. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn das Freiwilligenmanagement zukünftig unterschiedliche Akzente in den Sprachregionen, aber auch im Vergleich zwischen Stadt und Land mit ihren verschiedenartigen Werthaltungen und Milieus setzt.

Buchpublikation: Freiwilligenengagement von und mit älteren Menschen

Wie gewinnt man die Babyboomer-Generation für Freiwilligenarbeit? Und wie koordiniert man Freiwilligenarbeit mit ihnen bestmöglich? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die 15 Autor:innen des Sammelbandes «Freiwilligenmanagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen» (Seismo-Verlag), aus dem auch obenstehende fünf Thesen stammen. Die Dringlichkeit dieser Fragen steigt mit der demografischen Veränderung. Es zeichnet sich ab, dass zur Erfüllung gesellschaftlich notwendiger Dienste auf die Freiwilligenarbeit der Senior:innen nicht verzichtet werden kann. Sie wird im Gegenteil immer wichtiger. Eine grosse Herausforderung dabei ist, dass diese Generation mindestens genauso heterogen ist, wie die Jüngeren es sind. Wie trägt man dieser Vielfalt Rechnung? In den Sammelband flossen auch Ergebnisse einer Studie des Instituts für Sozialmanagement ein. Er richtet sich an Praktiker:innen wie auch an Wissenschaftler:innen, die zu Fragen des Alters, der Zivilgesellschaft und der Sozialpolitik forschen.

Download des Sammelbandes (kostenlos)