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Welttag der Sozialen Arbeit: Es braucht die anderen. Immer.

Mit dem Motto «Ich bin, weil wir sind» besinnt sich die Soziale Arbeit an ihrem diesjährigen Gedenktag auf ihren Kern, schreibt Tobias Roosen.

Die Corona-Pandemie weckte weltweit die menschliche Solidarität. (Bild: Unsplash)

von Tobias Roosen

Eigentlich wollten wir – AvenirSocial Region Zürich & Schaffhausen – in diesem Jahr am 16. März erstmals gemeinsam mit der ZHAW den Welttag der Sozialen Arbeit feiern. Jenen Tag, der im Jahr 2003 von der International Federation of Social Workers ausgerufen wurde, damit Fachpersonen der Sozialen Arbeit weltweit die Leistungen ihrer Profession würdigen. Was uns allerdings noch viel wichtiger ist als das Feiern: Der Tag rückt unseren Berufsstand in den Fokus und stärkt damit das allgemeine Bewusstsein für seine Bedeutung – vor allem bei den entscheidenden politischen Stellen, wie wir hoffen.

Wegen der Corona-Pandemie findet unsere gemeinsame Veranstaltung voraussichtlich erst im Herbst statt. Das Motto des World Social Work Day (WSWD) begleitet uns aber schon jetzt. Es lautet: «I am Because We Are» - Ich bin, weil wir sind. Der Gedanke stammt aus der afrikanischen Philosophie Ubuntu, die auf Deutsch mit «Menschlichkeit», «Nächstenliebe» oder «Gemeinsinn» übersetzt werden kann. Ubuntu hält dem westlichen Individualismus entgegen, dass es für unser eigenes Dasein grundsätzlich auch anderer Menschen bedarf.

Geleitet von ethischen Prinzipien

Zum Beispiel braucht es viele andere Menschen, damit das Aufwachsen gut gelingt. Aber nicht nur dafür. Man kann sagen: Es braucht die anderen. Immer. In manchen Fällen braucht es sie, weil die Lebenswelt klein ist und der Anregungen wenig sind. In anderen Fällen sind die anderen nötig, weil die eigene Lebenswelt zu schnell gross wird und man sich darin zu verlieren droht.

Das erste, für zwei Jahre geltende Motto des WSWD entstammt der «Globalen Agenda für Soziale Arbeit und Soziale Entwicklung 2020 – 2030», welche sich die Mitglieder der drei weltweit grössten Verbände für Soziale Arbeit gegeben haben. Es sind dies der International Council of Social Welfare (ICSW), die International Association of Schools of Social Work (IASSW) sowie die International Federation of Social Workers (IFSW). Das Thema der Global Agenda, ist die «Stärkung der Sozialen Solidarität und Globalen Verbundenheit». Geleitet von ethischen Prinzipien, haben Soziale Arbeit und ihre Fachpersonen eine tragende Rolle inne, Menschen, Gemeinschaften und Systeme so miteinander zu verbinden, dass Transformation sozial, inklusiv und nachhaltig auch gelingt.

Schwingungen zulassen

«I am Because We Are»: Dieser Satz bringt nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt selbst, sondern auch das Streiten und Ringen um Kompromisse in sozialen und politischen Spannungsfeldern zum Ausdruck. Darauf bezog sich denn auch der deutsche Soziologe Hartmut Rosa mit seinem Begriff der Resonanz: Unser Leben kann nur dann gelingen, wenn wir unsere Umwelt und unsere Mitmenschen wahrnehmen und Resonanzbeziehungen eingehen.

Wenn wir uns – um einen Begriff der Physik auszuleihen – sozusagen von den Schwingungen anderer anregen lassen. Wir verlieren damit zwar einen gewissen Anteil unserer Autonomie und unseres Individualismus, aber was wir gewinnen, ist viel mehr.

Wir alle sind betroffen

In Zeiten der Globalisierung können wir überall hinreisen, hinsehen und -hören. Wir können überall auf dieser Welt mitreden und -fühlen, wir können überall einkaufen, wellnessen und Geld verdienen. Wir können ausbeuten, vermarkten, Schnäppchen machen und Gewinnmargen extrapolieren.

Wir können überall auf der Welt Arbeit umverteilen, rationalisieren oder abschaffen. Aber falls wir das alles für positive Errungenschaften des Zusammenlebens und der Auseinandersetzung mit den anderen halten sollten, müssten wir wohl noch einmal über die Bücher gehen. Der Ubuntu-Leitsatz «Ich bin, weil wir sind» meint auf jeden Fall etwas ganz anderes.

In Zeiten von Corona stellt er viele Fragen an uns. Zum Beispiel: Wer ist wirklich betroffen? Die Antwort lautet: Wir alle und nicht nur die sogenannten Risikogruppen. Denn um die Pandemie zu überwinden, müssen wir uns alle ganz anders verhalten als gewohnt. Aus dem bisherigen Credo des «Höher, schneller, weiter» wurde in kürzester Zeit ihr Gegenteil: langsamer, kürzer, tiefgreifender, sorgfältiger, kleinteiliger.

Über Beziehungen nachdenken

Was wir in den vergangenen zwölf Monaten ebenfalls auf eindrückliche Weise gesehen haben: Die ausserordentliche Lage weckte die menschliche Solidarität – und trifft damit den Kern der Sozialen Arbeit. Diese hat den ureigenen Anspruch an sich selbst, dass niemand zurückgelassen wird. So lautet denn auch der zweite Teil des World-Social-Work-Day-Mottos passend «Strengthening Social Solidarity and Global Connectedness», die soziale Solidarität und die globale Verbundenheit stärken.

Soziale Arbeit basiert auf Resonanz, wie Hartmut Rosa es nennt, weil ihre Akteure in menschlichen Bezügen handeln und deshalb wissen, wo und wie ihre Tätigkeit in Beziehung steht und an welchen Beziehungen zu arbeiten ist. Der Anspruch der Sozialen Arbeit ist es nicht nur, diese Beziehungen in der Praxis anzuwenden, sondern sie auch in allen ihren Aspekten zu beleuchten und verstehen zu können.