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Trotz Corona glauben weniger Menschen an Verschwörungstheorien

Das offensive Auftreten mancher Verschwörungsanhänger:innen dürfte abschreckend gewirkt haben, sagt Dirk Baier. Der ZHAW-Forscher untersuchte, wie sich sozio-politische Einstellungen der Schweizer Bevölkerung während der Covid-Pandemie veränderten.

Mehr als ein Viertel der Schweizer Bevölkerung glaubt an Verschwörungstheorien. (Bild: Imago)

Herr Baier, Sie untersuchten anhand von zwei repräsentativen Befragungen aus dem Frühjahr 2018 und dem Frühsommer 2021 verschiedene Einstellungen der Schweizer Bevölkerung und wie sich diese durch die Pandemie veränderten. Was sind die wichtigsten Befunde Ihrer Studie?
Dirk Baier: Beim einen handelt es sich um einen positiven Befund: Der Anteil der Personen mit Verschwörungsmentalität ist im Vergleich zu 2018 signifikant gesunken, nämlich von 36 Prozent auf 27 Prozent. Der zweite zentrale Befund zeigt, dass ein solches Denken derzeit recht weit verbreitet ist; mehr als ein Viertel der Bevölkerung stimmt Aussagen zu, die Verschwörungsmentalitäten erfassen.

Haben Sie diese Befunde überrascht?
Dieser Rückgang war sehr überraschend. Es gibt nicht viele Themen, die in Zeiten der Corona-Pandemie so intensiv öffentlich und medial diskutiert wurden wie das Phänomen Verschwörungsmentalität. Erst kürzlich zeigte aber auch eine internationale Studie, dass der Schweizer Befund im Einklang mit Entwicklungen in anderen Ländern steht.

Wie erklären Sie sich das?
Verschwörungstheoretiker:innen setzten sich lautstark gegen die «Corona-Diktatur» zur Wehr, durch Demonstrationen, durch Agitation im Internet und in den Sozialen Medien. Dadurch wurde diese Szene sichtbarer. Für gewisse Menschen mag ein solches Auftreten attraktiv erscheinen. Viele hingegen dürfte diese Art von Denken und Handeln abgeschreckt haben. Vereinfacht gesagt: Die Corona-Pandemie entlarvte, wie manche – nicht alle – Verschwörungstheoretiker:innen wirklich ticken. Das wiederum führte dazu, dass andere Menschen mit ähnlichen Ansichten zur Vernunft gekommen sind.

Ein lautes Auftreten kann aber auch beeindrucken und als Zeichen von starker Führung positiv aufgefasst werden, wie man am Beispiel von Donald Trump sieht.
Ja, zweifellos sind Verschwörungstheoretiker:innen von markigen, autoritären Führungspersonen auch fasziniert. Aus meiner Sicht sind zwei Dinge zu beachten: Erstens das Ausmass der Verhaftung im verschwörungstheoretischen Denken. Es gibt hier kein Schwarz und Weiss, sondern Abstufungen. Personen, die sehr fest in diesem Denken verhaftet sind und ein hermetisches Weltbild haben, sind eher von solchen Führungspersonen begeistert. Wer solchem Denken noch nicht so stark anhängt und auf Familie, Freunde, Bekannte zurückgreifen kann, die auch alternatives Gedankengut äussern, ist weniger anfällig. Zweitens ist der politische Inhalt der Führungspersonen entscheidend. Trump und Co. haben selbst als Teil der mächtigen Elite Verschwörungstheorien über das Agieren der mächtigen Elite gestreut, etwa zu Deep State und zum Wahlbetrug. Man kann sich aber ebenso autoritäre Führungspersonen vorstellen, die weniger Verschwörungstheorien und Fake News verbreiten, beispielsweise kommunistische Ideen. Hiervon würden Verschwörungstheoretiker:innen dann sicher weniger angezogen.

Wie wird es mit den Anhänger:innen von Verschwörungstheorien weitergehen?
Ich rechne mit einem weiteren Rückgang der Anhängerschaft. Zum einen dürften die Prozesse, die zur Distanzierung von der Szene geführt haben, weiterhin wirksam sein. Auch ohne Pandemie reden wir weiterhin über die Verschwörungstheoretiker:innen und die Gefahren, die von einem solchen Denken ausgehen. Zum anderen wird weiterhin Prävention in diesem Bereich stattfinden; und Fachstellen wie Infosekta, die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und andere Präventions- und Interventionsstellen haben sich dem Thema verstärkt angenommen.

Sie haben auch die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Schweizer Demokratie untersucht. Diese hat während der Pandemie offenbar keinen Schaden genommen. Haben Sie das erwartet?
Nein, ich ging von einem Rückgang der Zufriedenheit aus. Das hat sich nicht bestätigt. Die Zufriedenheit mit der Schweizer Demokratie nahm allerdings auch nicht zu – was aber allein deshalb kaum zu erwarten war, weil sie bereits sehr hoch war: Neun von zehn Befragten sind zufrieden mit der Demokratie. Auf diese sind die Schweizer:innen seit Jahrhunderten stolz. Das kann auch keine zweijährige Pandemie so rasch ändern.

In vielen Ländern findet eine Polarisierung der politischen Meinungen statt. Stellen Sie das auch für die Schweiz fest?
Die Studie kann hier etwas Entwarnung geben: Wir haben keine starken Hinweise auf Polarisierung gefunden, wobei man sicher noch einmal intensiver darüber diskutieren muss, wie sich Polarisierung zeigt. Eine von uns untersuchte Form ist, ob die Extreme zunehmen, ob also mehr Personen existieren, die Verschwörungsmentalitäten sehr stark zustimmen. Das ist tendenziell der Fall, das Ausmass ist aber derzeit nicht beunruhigend.

Und in Zukunft?
Es ist davon auszugehen, dass dieser kleinere Teil radikaler werden könnte, eben weil es sich um die wirklich Überzeugten handelt. Und bei diesen Personen können Denken und Handeln näher beieinander liegen. Ich rede nicht davon, dass hier eine neue Art Terrorismus entsteht; niedrigschwelligeres aggressives Verhalten gegen Politiker:innen, Journalist:innen und generell öffentlich sichtbare Personen mit Meinungen, die verschwörungstheoretischen Weltbildern widersprechen, könnte aber noch weiter zunehmen.