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Klientel

Sozipedia – Kolumne über Fachbegriffe auf Abwegen

von Martin Biebricher

«Klappern gehört zum Handwerk», sagt ein Sprichwort. Wer mit einem ärztlichen Bericht, einer juristischen Argumentation oder einer IT-Bedienungsanleitung konfrontiert ist, mag leidvoll ergänzen: «Fachsprache gehört zur Profession.» Das ist bei der Sozialen Arbeit nicht anders. Manche Fachbegriffe erleichtern die Kommunikation, weil sie Klarheit schaffen. Andere werden unterschiedlich verstanden. Und dann gibt es die dritte Gruppe: den Jargon. Also aus lauter Gewohnheit verwendete Fachbegriffe. Mitunter stehen sie im Widerspruch zu dem, was man aussagen möchte. Klientel ist für mich ein solcher Fachbegriff auf Abwegen.

Als junger Student lernte ich vor knapp 30 Jahren: In der Sozialen Arbeit haben wir es mit Klientinnen und Klienten zu tun. Das hat mir imponiert. Es klang nach Anwaltschaftlichkeit, nach bedingungslosem Einsatz für Gerechtigkeit. Nach Berufen mit hohem Renommee, wie Rechtsanwältin oder Steuerberater. Bald darauf erfuhr ich, wie der Begriff in die Soziale Arbeit kam: Die in der Nachkriegszeit aus den USA nach Europa (re)importierten psychoanalytisch geprägten, liberalen, pragmatischen Methodenansätze des Social Caseworks benutzen das englische client. Damit versuchten sie, das demokratische Bild von Menschen zu transportieren, die als entscheidungsfähige Subjekte die Soziale Arbeit aus eigenem Antrieb beauftragen, ihnen zu helfen.

Bis heute irritiert mich aber der zur Beschreibung einer Gesamtheit von Klientinnen und Klienten verwendete Begriff Klientel. Im alten Rom waren cliens die halbfreien Abhängigen von Patrizierfamilien: Dienstboten, Mägde, Knechte. Im Deutschen vergleichbar mit dem auf einem Gutshof verdingten Gesinde. Der Duden verweist auch auf das lateinische clientela und übersetzt dies mit «die Gesamtheit der Hörigen».

Hörige, Verdingte, Gesinde – niemand käme heute ernsthaft auf die Idee, Menschen, die Soziale Arbeit in Anspruch nehmen oder von der Sozialen Arbeit in Anspruch genommen werden, so zu bezeichnen. Und doch hört man den Begriff häufig. Dabei beschreibt «Klientel» nicht etwa entscheidungsfähige Subjekte, sondern macht Menschen sprachlich zur Verfügungsmasse einer absolut herrschenden Macht. Kritischen Sozialarbeitenden, die es mit der Ermächtigung, dem empowerment ihrer Adressatinnen und Adressaten ernst meinen, dürfte dieser Umstand zu denken geben.