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ZKM-Corona-Reihe: Interview #2 mit Dr. Annette Bhagwati

Im zweiten Teil unserer «ZKM-Corona-Reihe» sprechen wir mit Dr. Annette Bhagwati, Direktorin des Museums Rietberg, über ihre Erfahrungen der letzten Wochen im Museumsbereich und freuen uns mit ihr über den glücklichen Moment der Wiedereröffnung des Museums.

Dr. Annette Bhagwati ist seit November 2019 Direktorin des Museums Rietberg. Das Museum Rietberg in Zürich widmet sich der Kunst der traditionellen, aber auch der zeitgenössischen Kulturen Afrikas, Asiens, Amerikas und Ozeaniens. Annette Bhagwati studierte Ethnologie, Kunst und Literatur Afrikas, Kunstgeschichte und Geografie und promovierte an der School of Oriental and African Studies in London. Am Haus der Kulturen der Welt in Berlin leitete sie zudem kuratorische Forschungs- und Langzeitprojekte und verantworte dort eine Vielzahl an Ausstellungsprojekten an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. (Foto: Alain Suter)

Wie haben Sie die letzten Wochen im Museumsbereich und in Ihrem Arbeitsumfeld erlebt? Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die Corona-bedingten Schliessungen verdeutlichen die ausserordentliche Situation, in der sich alle Museen und die gesamte Kunstwelt befanden. Obwohl es ein grosser Einschnitt war, plötzlich ohne Publikum zu arbeiten, hat die Zeit der Schliessung grosse Energien freigesetzt und Konzeptentwicklungen eine neue Perspektive verliehen. Gerade im digitalen Bereich wurden zahlreiche Überlegungen und Entwicklungen sehr beschleunigt, gleichzeitig erhielten etliche Fragen eine neue Dringlichkeit und Relevanz: Fragen zur Konzeption und Reichweite von Ausstellungsprojekten sowie, ganz generell zur Rolle der Museen in einem digital geprägten Zeitalter, das von einem tiefgreifenden gesellschaftlichen und strukturellen Wandel gezeichnet ist. Sicher, wir haben das Glück gehabt, dass wir dank Technologie hinter den Kulissen stets operativ blieben und dass der Kontakt zum Museumsteam, zu Partnerinstitutionen wie auch zum Publikum während der gesamten Zeit aufrechterhalten werden konnte. Es lassen sich jedoch nicht alle Bedürfnisse problemlos in den digitalen Raum übertragen. Gerade ein Museum wie das Museum Rietberg, das mit seinen Sammlungen aussereuropäischer Kunst im engen Austausch mit Museen, Forschenden, Kooperationspartnern weltweit steht, lebt vom direkten Kontakt, von Mobilität – die der Kunstwerke, die der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Kuratierenden, die Recherche und Forschung betreiben. Wenn diese Aktivitäten und der Austausch vor Ort in den Herkunftsländern plötzlich Hindernisse erfahren, so hat dies für das Museumsprogramm Konsequenzen. Letztlich hatten wir grosses Glück, dass z. B. die Leihgeberinnen und Leihgeber der Werke aktueller Ausstellungen alle bereit waren, die neu gesetzten Termine zu akzeptieren. Wir sind ihnen dafür sehr dankbar und glücklich, dass dadurch alle Ausstellungen wie geplant, und nur zeitlich etwas verschoben, präsentiert werden können.

Positiv ist sicher, dass dank der engen Vernetzung aller Akteure – Publikum wie Fachpersonen, interne und externe – ein Unterbruch der physischen Aktivität des Museums gut überbrückt werden konnte. Eine Herausforderung – aber vielleicht auch eine Chance – ist eine mögliche, vielleicht auch längerfristige Veränderung des Besucherverhaltens – was suchen Besuchende in der Begegnung mit Kunst in diesen Zeiten, welche Fragen stellen sie? Wie verändert sich der Umgang mit Kunst, wie die Begegnung mit den Werken, in Führungen, in Workshops? Der spannendste Aspekt ist: Welche Rolle spielen Museen in der Zukunft – und wie sieht diese Zukunft aus, welchen Gestaltungspielraum haben wir dabei?

Was wird sich Ihrer Einschätzung nach in Museen nach Corona ändern? Welche Chancen und Gefahren sehen Sie?
Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit ist die internationale Vernetzung. Zum Glück sind Kooperationen und Austausch mit Herkunftsländern und internationalen Partnern fest etabliert und Teil unseres Alltags. Recherche, Feldforschungen oder Ausgrabungen werden hingegen erschwert. Die unmittelbaren Auswirkungen betreffen auch die Zusammensetzung des Publikums. Wird es schwieriger sein, Besuchende aus dem Ausland zu gewinnen? Werden sie ab jetzt eher das digitale Angebot nutzen, so dass die Museen noch stärker sowohl lokal als auch international auf unterschiedlichen digitalen und analogen Schauplätzen agieren müssen? Persönlich bin ich davon überzeugt, dass im digitalen Bereich eine grosse Chance liegt, eigene Formate und Angebote zu entwickeln, die das analoge Programm wesentlich bereichern und es komplementär erschliessen. Der digitale Bereich etabliert sich als ein eigenes und eigenständiges Standbein des Museums.

Die konkrete Chance ist also eine ganz neue Nutzung von Museen. Diverser und flexibler. Bei aller Diversität der Zugänge und digitaler Möglichkeiten, sollte das die unmittelbare Begegnung mit dem Werk und seiner Wirkung als Impulsgeber für neue Perspektiven und Fragestellungen jedoch im Zentrum der Aktivitäten verbleiben. Eine der grossen Fragen bei fortgeschrittener Digitalisierung der Programme und Aktivitäten ist, ob die öffentliche Hand sowie die Sponsoren bereit sind, auch Follower-Zahlen analog zu Eintrittszahlen als Parameter für einen Erfolg zu akzeptieren. Hinzu kommen Fragestellungen zur Nutzung der Inhalte, z. B. in Verbindung mit Reproduktionsrechten.

Welche kreativen Ideen sind in Ihrem Arbeitsumfeld im Zuge der Corona-Krise entstanden?
Die Ideen betreffen vor allem die nicht ortsgebundene Nutzung der Inhalte für eine Vielzahl von Publika und Bedürfnissen. Sie reichen von persönlichen Präsentationen auf Video über digitale Vermittlungskonzepte bis zu einer nachhaltigeren Nutzung von ausstellungsbezogenen Inhalten. So wurden einzigartige Dokumentationen aufbereitet und sichtbar gemacht, was zu einem neuen Verständnis von Dokumentation und Archivmaterial geführt hat. In der Zeit konnten wir auch die Aussenkommunikation mit einem erweiterten Newsletter stärken, es sind zahlreiche Instagram-Serien entstanden, wir haben die Zeit für eine Optimierung des Zusammenspiels der verschiedenen Kommunikationsmittel genutzt, Ausstellungskonzepte ergänzt. Ein erweiterter Zugang zur Sammlung online wird gerade konzipiert, das betrifft die gesamte Organisation. Die vielfältigen Inhalte und neuen Anforderungen haben auch eine Auswirkung auf die Struktur der Entscheidungsgremien zur Folge gehabt, die nun grundsätzlich die Abteilungen untereinander besser verzahnen.

Welche Rolle spielt in diesen Krisenzeiten in Ihrem Bereich die Digitalisierung, von der man hofft, dass sie durch die jetzige Situation zusätzlich vorangetrieben wird? Gelingt es Ihnen mit Ihren digitalen Angeboten neue Zielgruppen zu erschliessen? Und wenn ja, wie?
Die Vielzahl der Stimmen und Perspektiven, die unseren Mission Statement charakterisiert und unsere Arbeit seit jeher prägt, ist für uns eine Konstante. Mit der Weiterentwicklung digitaler Formate und Serien und mit dem Relaunch des Newsletters konnten wir die Reichweite weiter optimieren und die Ansprache jüngerer Zielgruppen stärken. Schon in den Vorjahren haben wir die Diversität der Zugänge auch bei Ausstellungen verfolgt, z. B. bei «Nächster Halt Nirvana» oder «Fiktion Kongo». Die Digitalisierung erlaubt es, die vielen Diskurse einem noch weiteren und diverseren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen. Dabei ist uns wichtig, dass die digitalen Formate nicht als «Frontalsituation», als «one way-Kanal» verstanden werden, sondern dass der Gedanke des Austauschs, der aktiven Teilhabe, der bei physischen Formaten möglich ist, erhalten bleibt. Natürlich spielt auch Evaluierung eine bedeutende Rolle, damit die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden.

Was sind Ihre wesentlichen beruflichen «Learnings» aus der Corona-Krise?
Der menschliche Faktor ist entscheidend. Ein kollaborativ aufgestelltes, gut miteinander kommunizierendes, fachkompetentes, neugieriges und lernbereites Team kann sich auf komplexe und unerwartet auftretende Situationen sehr schnell einstellen. Digitalität fördert Kreativität unter veränderten Bedingungen. Durch digitale Formate konnte und kann das Museum seine Inhalte weiterhin teilen, der Austausch untereinander und der Kontakt zum Publikum brach nie ab. Die Corona-Krise hat die Entwicklung digitaler Formate beschleunigt und die Museumsteams über die Abteilungen und Fachexpertisen hinweg zusammengeschweisst. Dadurch konnten selbst unter erschwerten Bedingungen auch umfassende Projekte (die Online-Sammlung als «Living Archive») angegangen werden. Auch wenn wir uns über den Erfolg der neuen, digitalen Formate sowie über die Möglichkeit, die Entwicklung spannender Projekte voranzutreiben gefreut haben, waren wir über die Wiedereröffnung des Museums am glücklichsten.

Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!

Alle Interviews im Überblick

Wir freuen uns auf die folgenden Interviews innerhalb der nächsten zwei Wochen:

  • #3 Michaela Braun, Leitung Marketing und Kommunikation, Tonhalle Zürich
  • #4 Elke Mayer, Geschäftsführerin, Spoundation Motion Picture AG
  • #5 Arun López,  Senior Fundraiser, Stv. Leiter Fundraising, Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung
  • #6 Thomas Volprecht und Gabriela Huber-Koller, Head of Branding & Strategy und Head of Creation, standing ovation ag

Hier geht es zum Startbeitrag der ZKM-Corona-Reihe.