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Nachhaltigkeit in der Kultur: Interview #1 mit Dr. Annett Baumast

Das Thema Nachhaltigkeit prägt seit Jahren zunehmend den öffentlichen Diskurs. Unsere neue Interviewreihe «Nachhaltigkeit in der Kultur» greift diese Thematik auf. Im ersten Interview mit Dr. Annett Baumast, Forscherin am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und Gründerin der Beratungsfirma «baumast. kultur & nachhaltigkeit», erhalten wir Einblicke in die Nachhaltigkeitsentwicklung im Kulturbereich und in die Herausforderungen, welche Kulturbetriebe dabei begegnen.

Annett Baumast ist Gründerin und Geschäftsführerin von baumast. kultur & nachhaltigkeit in Hamburg (vormals Lenzburg und Zofingen). Sie arbeitet als Expertin, Beraterin, Projektleiterin und Dozentin an der Schnittstelle zwischen Kultur und Nachhaltigkeit sowie im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement, insbesondere für Unternehmen und Organisationen aus Kultur und Bildung. Sie hält Vorträge, Seminare und Workshops, hat Lehraufträge an verschiedenen europäischen Hochschulen und ist von Haus aus Ökonomin, Kulturmanagerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie studierte an der Universität Hannover, der ESC Rouen, der London School of Economics und dem Shakespeare Institute in Stratford-upon-Avon und doktorierte an der Universität St. Gallen. Sie publiziert regelmässig zu Nachhaltigkeits- und Kulturthemen und ist Mitherausgeberin erfolgreicher Lehr- und Praxisbücher. Seit Oktober 2019 ist sie zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg tätig.

Bild Copyright: Anne Emmert

Frau Baumast, im Rahmen des CAS Cultural Entrepreneurship unterrichten Sie das Thema «Sustainable Cultural Entrepreneurship». Warum ist es so wichtig, den Aspekt Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb und in Kulturprojekten zu berücksichtigen?

Eine nachhaltige Lebens- und Arbeitsweise ist die grosse Herausforderung unserer Zeit und geht uns alle an. Nicht umsonst richten sich die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele, die die Vereinten Nationen 2015 verabschiedet und mit dem Zieljahr 2030 veröffentlicht haben, nicht nur an Politik und Wirtschaft, sondern insgesamt an die Gesellschaft.

Bei der Entwicklung und Umsetzung einer nachhaltigen Arbeitsweise hinkt der Kultursektor hinter anderen Branchen hinterher, die sich teilweise schon seit Jahrzehnten mit einer nachhaltigen Wirtschafts- und Arbeitsweise auseinandersetzen, so dass es hier einen deutlichen Nachholbedarf gibt. Und wenn wir über unternehmerisches Handeln – Cultural Entrepreneurship! – sprechen, dann müssen wir berücksichtigen, dass immer mehr Startups auch von den Geldgebenden vermehrt nach ihrer nachhaltigen Ausrichtungen beurteilt werden bzw. nachhaltig orientierte Projekte Vorteile bei der Kapitalvergabe haben.

Zudem bieten gerade neu gegründete Unternehmen oder neu geplante Projekte die Chance, eine nachhaltige Arbeitsweise von Anfang an mitzudenken. Vielleicht lässt sich nicht alles von Anfang an umsetzen, aber die Berücksichtigung bereits in der Konzeptionsphase ist oft leichter, als einen bestehenden Betrieb komplett umzukrempeln.

Als Nachhaltigkeitsexpertin im Kulturbereich setzen Sie sich bereits seit den 90er Jahren einerseits in der Forschung, andererseits aber auch in der Praxis mit dem Thema auseinander. Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten 30 Jahren beobachtet?

Vor allem in den letzten zwei, drei Jahren hat das Thema Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb an Fahrt aufgenommen. Bis dahin ging es vor allem um Inhalte – das Theaterstück, das den Klimawandel thematisiert, die Ausstellung, die das Plastikproblem ins Museum bringt, das Buch, das sich mit Fragen der Diversität auseinandersetzt; da gibt es sehr, sehr viele Beispiele. Hinter die eigenen Kulissen wurde selten geschaut, meist herrschte das Diktum, dass Kunst nicht nur verschwenderisch sein darf, sondern geradezu verschwenderisch sein muss! Das hat sich geändert und es wird immer deutlicher, dass auch der Kulturbetrieb im Hinblick auf Nachhaltigkeitsthemen Verantwortung übernehmen muss. Denn Kunst findet ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern verbraucht Ressourcen, ist auf faire Arbeitsbedingungen angewiesen und muss sich auch Fragen nach dem Gemeinwohl gefallen lassen.

Die Klimakrise prägt seit vielen Jahren den öffentlichen Diskurs und die Forderung nach nachhaltigem Denken und Handeln durchdringt sämtliche Gesellschaftsbereiche. Welchen Beitrag kann Kultur und die künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung mit der Klimakrise für die Gesellschaft leisten? Wo sehen Sie die Grenzen?

Die ästhetische Auseinandersetzung mit der Klimakrise, aber auch mit anderen Nachhaltigkeitsthemen birgt das Potenzial, diese Themen dem Publikum auf eine Art und Weise näher zu bringen, wie es Wissenschaft, Medien und andere Kommunikationswege nicht vermögen. Ein sehr plakatives Beispiel ist Ólafur Elíassons Installation Ice Watch, die in Kopenhagen, Paris und London gezeigt wurde und die für Menschen, die sonst wahrscheinlich eher weniger in einen direkten Kontakt mit Eismassen getreten wären, das Schmelzen der Gletscher nicht nur in Island, sondern auch in anderen Ländern nicht nur darauf aufmerksam, sondern es für sie regelrecht erfahrbar macht. Gleichzeitig besteht die Chance, nicht nur für bestimmte Themen zu sensibilisieren, sondern auch aufzuklären. Die Ausstellung Endstation Meer? – Das Plastikmüllprojekt vom Museum für Gestaltung Zürich, die danach auf grosse Wanderschaft gegangen ist, ist ein solches Beispiel. Sie sensibilisiert für das Thema Plastik in den Weltmeeren, gibt aber gleichzeitig Hinweise, welche Massnahmen im sehr persönlichen Umfeld getroffen werden können.

Wo steht Ihrer Einschätzung nach die Schweizer Kulturszene in puncto Nachhaltigkeit heute? Was wünschen Sie sich für die Zukunft diesbezüglich?

Ich nehme eine Aufbruchstimmung wahr, die ich als sehr positiv bewerte. Noch vor fünf Jahren war es schwierig, mit Kultureinrichtungen über Nachhaltigkeit hinter den Kulissen zu sprechen. Inzwischen ist mehr Offenheit vorhanden und vor allem der Wille, sich an diesem wichtigen Prozess zu beteiligen. Ich würde mir wünschen, dass auch Einrichtungen, die sich bisher wenig Gedanken über ihren Beitrag zu einer Nachhaltigen Entwicklung ihre Verantwortung wahrnehmen und einen Prozess starten, mit dem sie ihren eigenen Weg zu mehr Nachhaltigkeit gehen können.

Was ist der Trade-off zwischen den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökonomisch, ökologisch, sozial) im Kulturbetrieb?

Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Ökologisch nachhaltig ausgerichtete Praktiken können mehr oder weniger kostenintensiv sein, faire Arbeitsbedingungen schaffen oder auch nicht. Manchmal gibt es auch einen zeitlichen Trade-Off. Eine in New York ansässige Bühnenbildnerin, Donyale Werle, die sich sehr mit einer nachhaltigen Arbeitsweise auseinandersetzt, designt Bühnenbilder komplett aus bereits verwendeten Materialien. Das ist sehr kostengünstig, was das Material angeht, benötigt aber mehr Zeit. Leider ist eine nachhaltige Arbeitsweise in den seltensten Fällen auf eine Schwarz-Weiss-Dichotomie zu reduzieren, was die Auseinandersetzung damit so herausfordernd macht. Es gibt sehr viele graue Zwischentöne, die es für die eigene Praxis zu evaluieren gilt.

Als selbstständige Beraterin unterstützen Sie diverse Kulturorganisationen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Welche typischen Herausforderungen begegnen Sie seitens Kulturbetriebe in dieser Rolle? Was können insbesondere kleinere Kulturbetriebe tun, um effektiv nachhaltiges Denken und Handeln in ihren Häusern zu implementieren?

Die grösste Herausforderung ist das Commitment, sich mit Zeit dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen und es im (Produktion-)Alltag unterzubringen. Je nachdem können es auch finanzielle Ressourcen sein, die fehlen, das muss aber nicht sein. Aus meiner Sicht sollte jede Kulturorganisation das Thema in ihrem Tempo angehen und Chancen dort ergreifen, wo sie sich bieten. Vielleicht kommt eine Theatergruppe zu einem Festival und fragt von sich aus nach Audiodeskription, Gebärdendolmetschung und möglichen relaxed performances. Dann sollte das Festival dies als projektbezogene Herausforderung sehen, aus der für zukünftige Festivals gelernt werden kann. Es muss nicht immer alles sofort passieren, sondern die gewählten Massnahmen müssen zum eigenen Haus, zur eigenen Organisation passen. Eine Vision, ein Ziel vor Augen zu haben, ist dabei ganz wichtig. Wo wollen wir als Kultureinrichtung hin in Bezug auf Nachhaltigkeit? Ein sehr positives Beispiel ist das One Of A Million Festival in Baden, das schon vor Jahren sein Nachhaltigkeitskonzept veröffentlicht hat und nun seiner Vision mit der Umsetzung von Massnahmen folgt. Auch der kontinuierliche Rückblick – Was haben wir geschafft? Wo müssen wir vielleicht noch nachschärfen? - ist wichtig.

Im Podcastinterview mit Cornelius Gesing für das Zinnschmelze Hamburg erwähnen Sie, dass sich seit Beginn der Pandemie Kulturbetriebe vermehrt in Bezug auf Nachhaltigkeit engagieren. Was sind konkrete Treiber dieser Engagements und welche konkreten Massnahmen beobachten Sie?

Das vermehrte Engagement von Kulturbetrieben in Bezug auf Nachhaltigkeit ist eher auf die Fridays-for-Future-Bewegung zurückzuführen. In der Pandemie haben einige Kultureinrichtungen aufgrund von Schliessungen die Chance gehabt, sich näher mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, weil es keine Kulturangebote zu organisieren galt. Andere aber haben um ihr nacktes finanzielles Überleben gekämpft, da war nicht viel Raum, um sich über Zukünftiges nachzudenken.

Grossbritannien gilt als einer der Vorreiter bei der Förderung von Nachhaltigkeit in der Kultur. So lancierte der British Arts Council bereits 2012 ein Environmental Programme, welches Kulturorganisationen bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Umwelt unterstützen soll. Wie bewerten Sie solche Initiativen? Was können wir daraus lernen?

Der Arts Council England – das Schwergewicht in der englischen Kulturförderung – hat gemeinsam mit der gemeinnützigen Organisation Julie´s Bicycle nicht nur die Forderung nach Umweltmassnahmen, -programmen und -berichten aufgestellt, sondern gleichzeitig ein Beratungs- und Unterstützungsangebot eingerichtet, das in den letzten Jahren vielen Kultureinrichtungen auf dem Weg zu mehr (ökologischer) Nachhaltigkeit zur Seite gestanden ist. Die Struktur der Kulturförderung in England hat zum Erfolg dieses Programms beigetragen, das nachweislich nicht nur zur Senkung der CO2-Emissionen im Kulturbetrieb beigetragen, sondern auch zur Senkung von Kosten in den teilnehmenden Kultureinrichtungen geführt hat. Zudem wurde festgestellt, dass in den betroffenen Einrichtungen die Auseinandersetzung – und letztliche Identifikation – mit Nachhaltigkeitsthemen zu einer stärkeren Mitarbeitendenbindung beigetragen hat. Diese insgesamt äusserst positiven Ergebnisse sollten zur Nachahmung anregen, wobei die andere Kulturförderungsstruktur in der Schweiz natürlich Berücksichtigung finden muss.

Das ZKM-Team bedankt sich herzlich für das Interview!