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Standardisierung

Wir sind umgezogen!

Sie finden diesen Beitrag neu unter https://www.leanhealth.ch/transformation/what/

Alfred Angerer, Tim Brand (V01)

Einleitung

Standardisierung ist eines der Fundamente der Lean-Vision. Standardisierung nützt allen – den Patientinnen und Patienten, weil sie eine qualitativ bessere Behandlung erhalten; der Effizienz im Spital, weil es ohne Standardisierung keinen regelmässigen Fluss und keine kontinuierliche Verbesserung (Kaizen) geben kann; und den Mitarbeitenden, weil es ihnen den Alltag durch die Vermeidung unzähligen kleinen Entscheidungen erleichtert. Zu Unrecht werden standardisierte Prozesse in der Praxis als Innovations-Hemmer und bürokratische Belastungen betrachtet. Die Ursache für diese Vorurteile sind ein falsches Verständnis und eine falsche Nutzung von Standards. In diesem Beitrag werden sowohl die Vorteile von Standards beleuchtet, als auch Hinweise zur richtigen Nutzung in der Praxis gegeben.

Leitfragen für die Praxis

Detailbeschreibung des Konzepts

Befürworter und Kritiker der Standardisierung im Spital

Heutzutage sind viele Medizinerinnen und Mediziner gegenüber Standards aufgeschlossener als noch vor 10 Jahren. Als Beispiel kann der international anerkannte ATLS-Standard (Advanced-Trauma-Life-Support-Standard) genannt werden, der bei mehr als einer Million Ärztinnen und Ärzte in 64 Ländern Anwendung findet (Ali, 2008). Die aus der Aviatik stammenden standardisierten „Timeouts“ vor Eingriffen (Schmitz-Rixen & Keese, 2014) wurden inzwischen von zahlreichen Operationssälen übernommen. Es ist ein fortschreitender Prozess, die richtigen Standards in einem Spital einzuführen und zu verbessern.

Bei der Umsetzung sollten sich Führungskräfte auf Hürden und Widerstände seitens der Mitarbeitenden einstellen. So besteht die Gefahr, dass mit grossem Aufwand Behandlungspfade definiert werden, deren Umsetzung anschliessend niemand begleitet und die deswegen auch nicht gelebt werden. Führungskräfte müssen also den Einführungsprozess neuer Standards begleiten und aktiv steuern. Es hat sich bewährt, an den Ort des Geschehens zu gehen, zu beobachten und Rückmeldungen zu geben (Gemba). Das reicht aber nicht. Gute Standardisierungsprojekte bedingen auch einen Kulturwandel in den Köpfen der Mitarbeitenden.

Dieser Kulturwandel ist noch lange nicht überall angekommen. Bei einer ZHAW-Podiumsdiskussion zum Thema „Standards im Spital“ sagte der Direktor eines Schweizer Spitals: „Standards im Spital werden überbewertet. Sie wollen ja schliesslich als Patient auch nicht standardisiert behandelt werden.“ Ein Lean-Hospital-Experte würde darauf aber antworten: „Doch, sehr gerne sogar.“ Denn Standardisierung bedeutet keinesfalls, dass die Mitarbeitenden wie Roboter agieren und alle Aktivitäten identisch ablaufen müssen. Standards im Behandlungsprozess der Patientinnen und Patienten bedeutet auch keineswegs, dass die Patienteninteraktion kalt, unfreundlich oder gar unmenschlich verläuft. Im Kern der Standardisierung geht es einerseits um eine Erhöhung der Behandlungsqualität der Patientinnen und Patienten andererseits auch um die Entlastung der Mitarbeitenden. Standards schaffen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Das ist im Sinne aller Beteiligten.

Standards erhöhen die Qualität der Behandlung

Ein Beispiel für gute Standards kann bei der Fallstudie Allegheny General Hospital beobachtet werden (Shannon et al., 2006). Die Spitalmitarbeitenden in Pittsburgh (USA) stellten fest, dass ein grosses Qualitätsproblem auf der Intensivpflegestation vorhanden war. Es gab eine sehr hohe Anzahl an Infektionen, die durch den Gebrauch von zentralen Venenkathetern verursacht wurde. So kamen auf 1000 Patienten-Katheter-Tage 10.5 Infektionen. Das Spital gab sich mit diesem Wert nicht zufrieden und untersuchte die Ursachen für die Infektionen. Als Erstes stellten die Mitarbeitenden fest, dass es keinen Standard gab, der festlegte, wo und wie man einen zentralen Venenkatheter richtig anlegen sollte. Es gab beispielsweise keine Checkliste oder Richtlinie, die vor dem Anbringen sicherstellte, dass an alles gedacht wurde. Des Weiteren gab es kein vorgefertigtes Set mit den benötigten Materialien und auch keine Dokumentation, wie desinfiziert werden sollte.

Es existierten unterschiedliche Praktiken, den zentralen Venenkatheter am Körper anzulegen. Eine Untersuchung der Arbeitsabläufe ergab, dass die Körperstelle, an der der Katheter angelegt wurde, von der Uhrzeit der Einweisung abhing. Nachts wurde der Katheter an der Leiste (Femoralvene) angelegt, während des Tages am Schlüsselbein. Der Grund dafür war nicht medizinischer Natur, sondern ein organisatorischer beziehungsweise menschlicher. Nachts waren meistens die eher unerfahrenen Mitarbeitenden zur unbeliebten Nachtschicht eingeteilt. Weil sie noch wenig Erfahrung mit den Arbeitsschritten hatten, haben sie den Katheter bevorzugt an der Leiste angelegt, weil das als die leichtere Methode galt. Erfahrenere Kollegen und Kolleginnen bevorzugten jedoch das Schlüsselbein.

Bei der Analyse von spitalinternen Daten sowie evidenzbasierten Studien hat das Allegheny-Team herausgefunden, dass ein zentraler Katheter an der Leiste signifikant häufiger zu Komplikationen führt. Darüber wurde im Spital noch nie nachgedacht. Jeder Mitarbeitende hat den Katheter dort angelegt, wo es am einfachsten erschien. Es war also ein Zufall (Ankunftszeitpunkt, Erfahrungsstand der behandelnden Person), wie hoch das Infektionsrisiko der Patientinnen bzw. Patienten war.

Deshalb ist ein standardisiertes Vorgehen hilfreich. Wenn es gute, evidenzbasierte Gründe gibt, warum eine Arbeitsweise festgeschrieben werden sollte, sollte dies auch geschehen. Das hat auch das Allegheny-Spital verstanden und eindeutige Standards eingeführt, diese klar kommuniziert und das Personal entsprechend geschult. Dieses Vorgehen hat sich bewährt: Nach einem Jahr sank die Anzahl an Infektionen von 10.5 auf 1.2 Fälle pro 1000 Patienten-Katheter-Tage, nach drei Jahren sogar auf 0.39. Das bedeutete konkret, dass die durch Komplikationen bei einem Venenkatheter verursachten Todesfälle pro Jahr von 19 auf 0 reduziert wurden. Standards dürfen aber nicht zu starr fixiert sein. Wenn die evidenzbasierte Medizin oder ein serviceorientierter Ansatz in Zukunft nachweist, dass andere Methoden die Qualität und das Patientenerlebnis noch weiter verbessern, sollte der Standard angepasst werden.

Standards entlasten die Mitarbeitenden

Mithilfe von Standards wird nicht nur die Qualität für die Patientinnen und Patienten erhöht, sondern sie entlasten auch die Mitarbeitenden. Die Entlastung wird offensichtlich, wenn der Alltag eines Mitarbeitenden genauer analysiert wird. Es müssen ständig Entscheidungen getroffen werden – hunderte im Verlauf des Tages („Wie muss ich auf diese Situation reagieren? Welche sind die nächsten Schritte?“). Manche dieser Entscheidungen können über Leben und Tod bestimmen. Diese Entscheidungen zu treffen, kostet viel Energie, sodass die Mitarbeitenden am Ende des Tages geistig erschöpft sind (Graban, 2012). Deswegen ist es wichtig, diese „geistige Energie“ nicht für unzählige Routineentscheidungen während des Tages zu verschwenden. Jede Entscheidung, die man wegen eines Standards nicht mehr komplett durchdenken muss, sondern routiniert beantworten kann, spart Zeit und Energie. Diese Energie wird dringend für Situationen benötigt, die in keinem Standard definiert sind und in denen Expertenwissen gefragt ist. So gesehen reduzieren Standards nicht die Flexibilität der Mitarbeitenden, sondern erleichtern es, bei unbekannten, kritischen Situationen die richtige Entscheidung zu treffen.

Praxisempfehlungen

  1. Erster Schritt: Sammlung der in der Abteilung vorhandenen Standards.
  2. Überprüfung mittels einem Gemba, welche Standards tatsächlich gelebt werden und welche nur auf dem Papier existieren.
  3. Einteilung der Prozesse in 3 Gruppen

Der Lebenszyklus von Standards sollte beachtet werden. Nichts ist für die Ewigkeit, schon gar nicht in der Lean-Vision. Im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung sollten Prozesse laufend hinterfragt und bei Bedarf verbessert werden. Zudem sollte sich das Team mindestens einmal pro Jahr Zeit nehmen, um bestehende Standards in einem gemeinsamen Workshop zu reflektieren.

Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:

Angerer, A., & Brand, T. (2016). Standardisierung. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch

Literatur

Ali, J. (2008). Fraser Gurd Lecture: The Journal of Trauma: Injury, Infection, and Critical Care, 64(5), 1149–1158.

Graban, M. (2012). Lean Hospitals - Improving Quality, Patient Safety, and Employee Satisfaction (2nd ed.). New York: Productivity Press.

Schmitz-Rixen, T. & Keese, M. (2014). Team-Time-Out – bevor es zu spät ist. In W. Merkle (Hrsg.): Risikomanagement und Fehlervermeidung im Krankenhaus (S. 121–128). Springer Berlin Heidelberg.

Shannon, R. P., Frndak, D., Grunden, N., Lloyd, J. C., Herbert, C., Patel, B., … Spear, S. J. (2006). Using Real-Time Problem Solving to Eliminate Central Line Infections. Journal on Quality and Patient Safety, 32, 479–487.