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Patientenpräferenzen

Wir sind umgezogen!

Sie finden diesen Beitrag neu unter https://www.leanhealth.ch/transformation/what/

Christophe Vetterli, Florian Liberatore (V01)

Einleitung

Das zentrale Leitprinzip von Lean Hospital lautet: Die Patientin/ der Patient steht an erster Stelle. Nach diesem Leitprinzip bekommen die Patientinnen und Patienten eine Rolle im Spital zugesprochen, die auf allen Ebenen sowie in allen Prozessen und Strukturen prioritär berücksichtigt werden muss. Patientenorientierung kann aber nur gewährleistet werden, wenn man die Patientenpräferenzen kennt und die Strukturen und Wertschöpfungsprozesse in einem Spital am Patientenprozess ausrichtet (und nicht umgekehrt). Eine hohe Patientenzufriedenheit dient als zentraler Indikator, ob das Spital die Präferenzen und Erwartungen der Patientinnen und Patienten erfüllt und das Patientenerlebnis sichtbar verbessert. Entsprechend steht bei einer Lean-Transformation eines Spitals die Ausrichtung aller Leistungen an Patientinnen und Patienten im Fokus, mit dem Ziel, die Patientenorientierung zu erhöhen.

Leitfragen für die Praxis

Beispielhafte Praxisfragen wären:

Detailbeschreibung des Konzepts

Mit Patientenpräferenzen sind Bedürfnisse und Interessen gemeint, die jede einzelne Patientin/ jeder einzelne Patient vor, während und nach einem Spitalaufenthalts hat. Diese müssen nicht unbedingt kongruent mit den medizinischen Notwendigkeiten und den Präferenzen der Mitarbeitenden sein. Daher ist es angebracht, die Präferenzen zu kennen. International führende Institutionen zeigen, dass die Orientierung an den Patientenpräferenzen wettbewerbsentscheidend ist. Das Johns Hopkins Hospital (2015) hat eine Top-10-Präferenzenliste publiziert:

  1. Lassen Sie mich schlafen.
  2. Halten Sie den Geräuschpegel auf der Station niedrig.
  3. Verlieren Sie meine persönlichen Gegenstände nicht.
  4. Klopfen Sie an die Tür, bevor Sie eintreten.
  5. Halten Sie mein Patientenboard auf dem neusten Stand.
  6. Informieren Sie mich und meine Familie über Veränderungen meines Zustandes.
  7. Putzen Sie die Böden und Flächen täglich, um die Verbreitung von Keimen zu vermeiden.
  8. Hören Sie mir zu und integrieren Sie mich.
  9. Bitte helfen Sie mir, mich in meinem Zimmer und dem Krankenhaus zurechtzufinden.
  10. Bitte verhalten Sie sich stets professionell in allen Bereichen des Krankenhauses.

Es wird ersichtlich, dass aus Patientensicht vor allem nicht nur rein medizinische Themen zentral sind. Die Patientenpräferenzen setzen sich sowohl aus Erlebnis- als auch aus medizinischer Perspektive zusammen. Beide Perspektiven sind äquivalent zu betrachten wie die Future-Hospital-Commission des Royal College of Physicians (2013) unterstreicht. Problematisch wird es bei Patientenpräferenzen, die beispielsweise konfliktär zu medizinischen Notwendigkeiten laufen. Ein Beispiel sind Rehabilitationsaufenthalte von Patientinnen und Patienten, die sich vor allem ausruhen möchten. Aus medizinischer Sicht ist die regelmässige Bewegung zentral für den Rehabilitationserfolg. Hier sollte stattdessen die Aufklärung der Patientinnen und Patienten über diese Notwendigkeiten im Vordergrund stehen, um die beiden Sichtweisen zu vereinen.

Stehen sich die Interessen der Mitarbeitenden und die Patienteninteressen gegenüber, wie beispielsweise bei den Visiten- oder Essenszeiten, ist eine Abwägung zu treffen. Grundsätzlich zeigt die führende Praxis, dass die Orientierung an der Patientenzufriedenheit langfristig auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigert (Walker & Vetterli, 2015). Des Weiteren zeigt sich, dass die konsequente Patientenorientierung auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigert.

Um die Patientenpräferenzen richtig einzuordnen und aufeinander abzustimmen, ist eine sorgfältig erfasste und gestaltete Patienten-Journey zentral. Die Patienten-Journey stellt die Erlebniskette der Patientinnen und  Patienten dar und integriert die unterschiedlichen Patientenpräferenzen im Verhältnis zueinander. Wichtig ist es zu erfassen, welche Präferenzen mit welcher Intensität gefordert und erlebt werden. Es muss festgehalten werden, welche Erlebnisse entscheidend für das Gesamterlebnis sind und welche nicht. Ein nachhaltiger Erfolg, gemessen an der Patientenzufriedenheit, ergibt sich folglich nur, wenn die Spitalprozesse an der Soll-Patienten-Journey ausgerichtet sind. Folgendes einfaches Beispiel kann dies verdeutlichen: Falls Patientinnen und Patienten Bio-Essen während des Aufenthalts präferieren, reicht es nicht nur Bio-Essen anzubieten. Es muss zusätzlich in das Gesamterlebnis eingeordnet werden, dass die Patientinnen und Patienten zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Art und Weise darauf aufmerksam werden. Sonst werden sie diese Leistung nicht wahrnehmen.

Da es sich bei Patientinnen und Patienten nicht um eine homogene Gruppe handelt, können die Patientenpräferenzen und -erwartungen an einen Spitalaufenthalt sehr unterschiedlich ausfallen. Selbstredend muss zwischen Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer unterschiedlichen Behandlungsgründe und den damit einhergehenden Einschränkungen und Bedürfnissen unterschieden werden. Jedoch können auch Unterschiede in den Präferenzen nach Geschlecht, Alter, Einkommen, kulturellem Hintergrund und Lebensstilen bestehen. Daher müssen Patientensegmente mit vergleichbaren Erwartungen und Präferenzen identifiziert und, daran ausgerichtet, die Leistungserbringung differenziert ausgestaltet werden.

Auch der Faktor „Zeit“ spielt bei Patientenpräferenzen eine Rolle. Aufgrund von Trends, medizin-technischen Innovationen und geänderten Anspruchshaltungen können sich Patientenpräferenzen über die Zeit ändern. Eine regelmässige Überprüfung der Spitalprozesse in Hinblick auf die Erfüllung von Patientenpräferenzen ist daher notwendig, um nachhaltig patientenorientiert zu agieren.

Praxisempfehlungen

Zunächst sollten durch die Dokumentation der Patienten-Journey sowie durch den Einsatz von Service-Blueprints Strukturen und Prozesse danach systematisiert werden, ob sie im Hintergrund ablaufen oder ob die Patientinnen und Patienten bei der Aktivität beteiligt bzw. anwesend sind. Vor allem von Patientinnen und Patienten wahrnehmbare Prozesse und Strukturen eines Spitals sollten nach ihren Präferenzen ausgerichtet werden. Aber auch mittelbare Prozesse, die nur indirekt Einfluss auf das Patientenerlebnis haben, müssen einer kritischen Überprüfung im Sinne der Systemleistung eines Spitals unterzogen werden, ob sie indirekt auf die Patienten-Journey Einfluss haben.

Die Präferenzen werden unterschiedlich erhoben. Die Experten- und Patientenbefragungen (vgl. Befragungstechniken) fokussieren auf den Präferenzen, die Patientinnen und Patienten bewusst ausgewählt haben. Bei Expertenbefragungen werden unmittelbar am Behandlungsprozess beteiligte Personen befragt, welche Erfahrungen sie bei den Wünschen und Erwartungen von Patientinnen und Patienten bei einem Spitalaufenthalt gemacht haben. Als Experten kommen die Ärzteschaft, Pflegekräfte sowie das administrative Personal in Frage, sofern sie einen direkten Patientenkontakt und ausreichend Erfahrungen gesammelt haben. Kritisch ist an dieser Methode zu bewerten, dass Experten auch nur aus ihrer Wahrnehmung und Erfahrung die Patientenpräferenzen wiedergeben können. Ihre Wahrnehmungen als Mitarbeitende eines Spitals können dabei durch eigene Interessen sowie selektive Wahrnehmungen verzerrt werden. Ausserdem besteht die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten bei einem Spitalaufenthalt gegenüber Mitarbeitenden gar nicht ihre wahren Präferenzen offenbaren, um mögliche Sanktionen zu vermeiden, da diese nicht im Einklang mit den Interessen der Mitarbeitenden stehen.

Patientenbefragungen

Patientenbefragungen in anonymisierter Form eignen sich gut, um die Präferenzen von Patientinnen und Patienten zu erfassen. Besteht ein begrenztes Wissen über die Präferenzen, sollten zunächst Fragebögen mit offenen Fragen zum Einsatz kommen, wie zum Beispiel „Was ist Ihnen bei einem Spitalaufenthalt wichtig?“. Geht es eher um Teilbereiche des Spitalaufenthalts bzw. sind die Kriterien bereits definiert, zu denen Präferenzen abgefragt werden sollen, sollten Fragebögen zum Einsatz kommen, die direkt zu einzelnen Aspekten des Spitalaufenthalts die Wünsche der Patientinnen und Patienten erfassen. Kritisch zu bewerten ist bei dieser Art der Präferenzerfassung die Tatsache, dass viele der Präferenzen auf latenten Bedürfnissen aufbauen und somit nicht einfach von Patientinnen und Patienten artikuliert werden können.

Bei der Erfassung der Präferenzen sollte auf die Repräsentativität der Befragung geachtet werden. Beschwerdefragebögen eignen sich nur bedingt zur Erfassung der Präferenzen, da sich nur besonders unzufriedene Patientinnen und Patienten daran beteiligen und daher nicht ein komplettes Abbild der Präferenzen aller Patientinnen und Patienten eines Spitals entsteht. Stattdessen sollten Methoden der Stichprobenbildung zum Einsatz kommen, um die Befragten repräsentativ zu gestalten.

Prototyping zur Erfassung (latenter) Präferenzen

Patientinnen und Patienten kennen oft ihre (latenten) Präferenzen noch nicht bzw. können diese nicht richtig artikulieren. Hier kann die Präferenzerfassung über Prototypisierung von möglichen Lösungen zum Einsatz kommen. Im Patient-Centric-Design (Basis bildet der Design-Thinking-Ansatz) (zum Beispiel bei Brown, 2009; McCreary, 2010) hat sich gezeigt, dass die Gestaltung mit den Patientinnen und Patienten daher eine effiziente Herangehensweise ist. Das Einbinden in den Design-Zyklus (Vetterli & Jäggi, 2015) ermöglicht die Präferenzen der Patientinnen und Patienten über den iterativen Zyklus besser zu verstehen. Der Zyklus beinhaltet das Prototyping (haptisches Erstellen von Lösungsideen) nicht nur als Element für die Konkretisierung von Ideen. Es geht vielmehr darum, die Präferenzen der Patientinnen und Patienten durch das Testen dieser Prototypen noch konkreter bestimmen zu können. Dafür muss der Prototyp in einer realitätsnahen Umgebung getestet werden, um die richtige Priorisierung und Intensität der Präferenzen von Patientinnen und Patient hervorzubringen (Vetterli & Jäggi, 2015). Eine gute Möglichkeit in einer realitätsnahen Umgebung, jedoch nicht während des Normalbetriebs, Prototyping durchzuführen und zu testen, bietet der Einsatz von Simulationszonen. Während der Simulation der Abläufe in einer Testumgebung können die Patientenpräferenzen mittels Shadowing oder der Denke-Laut-Methode direkt beim Ereignis beobachtet bzw. abgefragt werden. Diese Herangehensweise hat sich im letzten Jahrzehnt in anderen Branchen bereits sehr bewährt und hat mittlerweile auch in Spitälern und Kliniken nachhaltige Erfolge erzielt (McCreary, 2010; Vetterli & Jäggi, 2015).

Für die Entscheidung, inwieweit Zielkonflikte zwischen den unterschiedlichen Perspektiven gelöst werden können, eignen sich beispielsweise Scoring-Modelle. Die Lean-Vision steht für „Patientin/ Patient zuerst“, d.h. der Orientierungspunkt stellt den Patientenprozess dar. Bei einem Scoring-Modell werden für verschiedene Möglichkeiten der Prozessausgestaltung Punktwerte vergeben. Dazu wird jeweils bewertet, wie wichtig ein Prozesselement ist und wie sehr das Prozesselement die Erwartungen und Notwendigkeiten trifft. Dies geschieht aus verschiedenen Perspektiven. Beispielsweise können folgende Perspektiven betrachtet werden:

Das jeweilige Produkt der Punktwerte von Wichtigkeit und Zielerreichungsgrad wird über alle Perspektiven summiert. Der Gesamtwert kann dann mit verschiedenen Ausgestaltungsvarianten des Prozesses verglichen werden. Die Variante mit dem höchsten Gesamtwert ist den anderen vorzuziehen. Diese Ausgestaltungsvariante kann dann mittels eines Future-State-Diagrams visualisiert und als neuer Prozess im Spital implementiert werden.

Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:

Vetterli, C. & Liberatore, F. (2016). Patientenpräferenzen. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK – Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge, Version 1.0. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch

Literatur

Brown, T. (2009). Change by Design: How Design Thinking Transforms Organizations and Inspires Innovation. New York: HarperBusiness.

Drevs, F. & Gebele, C. (2015). Bevor der Patient ins Krankenhaus kommt. Informations- und Entscheidungswege des Patienten. In: Fischer, A. (Hrsg.): Servicequalität und Patientenzufriedenheit im Krankenhaus. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche  Verlagsgesellschaft. S. 109-118.

Future Hospital Commission (2013). Future Hospital: Caring for medical patients. London: Royal College of Physicians.

Graban, M. (2012). Lean Hospitals - Improving Quality, Patient Safety, and Employee Satisfaction. 2. Auflage New York: Productivity Press.

U.S. News & World Report – Health (2015). The patient wish list. Abgerufen von health.usnews.com/health-news/patient-advice/articles/2015/10/15/the-patient-wish-list

McCreary, L. (2010). Kaiser Permanente’s Innovation on the Front Lines. Harvard BusinessReview, 88 (9), S. 92-94.

Pawils, S., Trojan, A., Nickel, S. & Bleich, C. (2012). Kunden- beziehungsweise Patientenzufriedenheit. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 55(9), S. 1183-1190.

Vetterli, C. & Jäggi, C. (2015). Der Patient kommt immer zuerst. In: D. Walker (Hrsg.): Lean Hospital: Das Krankenhaus der Zukunft. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. S. 35-48.

Walker, D. & Betz, P. (2013). Jetzt kommt der Patient – Das Notfall-Flusskonzept. Zürich: walkerproject ag.

Walker, D. & Vetterli, C. (2015). Die stille Revolution. In: D. Walker (Hrsg.): Lean Hospital: Das Krankenhaus der Zukunft. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. S. 1-10.