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Alumni-Porträt: Als flösse Bier in seinen Adern

Für Markus Brendel ist Bier mehr als ein Durstlöscher. Es ist ein Kulturgut und Genussmittel. Der Lebensmittelingenieur und Biersommelier braut Biere, die im Gaumen zum Beispiel nach Melone schmecken.

ZHAW-Impact Nr. 34 vom September 2016

Zum Salat empfiehlt Markus Brendel ein mildes Weizenbier mit Zitrusnote. Zum Rindsbraten wählt er keinen Rotwein, sondern einen feinen Tropfen aus heimischer Braukunst: ein hopfenbetontes Bier, das dem Fleisch noch mehr Rasse verleiht. Zum Dessert, etwa einem Aprikosensorbet, schlägt der ZHAW-Absolvent ein fruchtiges Abteibier mit malzigem Abgang vor: «Die Süsse des Biers dämmt die Säure des Sorbets», sagt er, «das gibt eine super Mischung.»

Neue Aromahopfensorten

Der 50-Jährige ist Biersommelier und Produkteentwickler bei Feldschlösschen; sein halbes Leben arbeitet er schon in verschiedenen Funktionen bei der grössten Brauerei des Landes und staunt selbst ein bisschen darüber, dass er von Bier und Schloss immer noch so begeistert ist wie am ersten Arbeitstag. «Die Bierwelt ist so vielfältig, es gibt immer Neues zu entdecken», sagt er, «zu jeder Speise und zu jeder Gelegenheit gibt es ein passendes Bier.» Allein Feldschlösschen führt über 40 Biere im Sortiment und deckt damit 14 verschiedene Bierstile ab. Weltweit gibt es über hundert verschiedene Bierstile.

Tatsächlich hat sich Bier in den vergangenen Jahren vom einfachen Durstlöscher zum angesehenen Speisebegleiter entwickelt. Vor allem das Aufkommen neuer  Aromahopfensorten hat die Bierkultur aufleben lassen; die darin enthaltenen ätherischen Öle führten zu einer Ausweitung der Aromaprofile. Mit ihren wohlklingenden Namen wie Cascade, Polaris oder Simcoe bereichern sie die Arbeitswelt von Markus Brendel.  Rosinen, Menthol, Rosen, Mango, Passionsfrucht oder Melone – dank Aromahopfen kann er  heute alle diese Geschmacksnuancen ins Bier einbauen.

«Die Szene ist in den letzten Jahren viel lebendiger geworden: Ende 2015 waren  623 Brauereien biersteuerpflichtig, 1985 gar nur 35.»

Markus Brendel, Lebensmittelingenieur und Biersommelier

Kein Wunder, sind neben den Weinsommeliers nun auch die Biersommeliers daran, sich in der Gastronomie zu etablieren. Seit 2011 bieten Gastrosuisse und der Schweizer Brauereiverband einen achttägigen Kurs zum Biersommelier an, bei dem auch Markus Brendel als Dozent tätig ist. 231 Personen haben ihn bislang absolviert, darunter auch einige Frauen. Die Ausbildung befähigt dazu, verschiedenste Biere zu beschreiben und passende Biere zu Speisen und Gelegenheiten zu empfehlen. Weil die Nachfrage in der Deutschschweiz so gross ist, werden nun sogar Zusatzkurse aufgelegt. Markus Brendel machte sein Diplom vor fünf Jahren  im Ausland, weil es den Lehrgang in der Schweiz noch nicht gab.

Würzepfanne und Maischefilter

Es war eine Ergänzung zu seinem Beruf als Produkteentwickler bei Feldschlösschen in Rheinfelden. Sein Reich ist das sogenannte Technikum, eine Brauerei im Kleinformat mit der vollen Ausstattung von der Würzepfanne über den Maischefilter bis zum Edelstahltank. Hier experimentiert Brendel mit seinen Kollegen mit Hopfen und Malz, hier entstehen die Neuheiten von Feldschlösschen. «Die Arbeit im Technikum ist eine schöne Abwechslung zur Büroarbeit», sagt er. Im Technikum lassen sich zu Testzwecken kleine Mengen Bier mit 100 bis 200 Litern herstellen, während aus der grossen Anlage immer 40'000 Liter aufs Mal sprudeln. Die Biermuster werden dann in Panels mit Laien oder Fachleuten auf ihre Markttauglichkeit getestet. Jährlich schafft es eine bis fünf Neuheiten auf den Markt. 

Mehr Brauereien

Laufend wird das Biersortiment angepasst, jüngst etwa durch die Einführung der Sorte Braufrisch, eines naturtrüben Lagerbiers, eine Antwort auf die steigende Nachfrage nach unfiltrierten Bieren. Die Szene ist in den letzten Jahren viel lebendiger geworden. Ende 2015 waren 623 Brauereien biersteuerpflichtig, im Jahr 2000 waren es 82, 1985 gar nur 35. Das Kartell hatte die Biervielfalt stark gehemmt. Heute kommen durch die grössere Auswahl immer mehr Geniesser auf den Geschmack. Bereits entstehen Bierotheken, etwa jüngst im Berner Einkaufszentrum Shoppyland, und sogar Supermärkte führen mittlerweile Spezialitätenecken. Für Brendel liegt aber noch mehr drin. Geht es um Nachschub an Neuheiten, arbeiten Marketing und Produktentwicklung Hand in Hand. Wo hat es noch weisse Flecken auf der Landkarte? Welches sind die Trends? Was wollen die Konsumenten? «Wir sind immer am Tüfteln», sagt Brendel, ohne Details zu nennen – die Konkurrenz schläft nicht. Auf den Trend der aromatischen Craft-Biere wurde mit einem Pale Ale und einem hopfengestopften Weizenbier reagiert. Zur Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien wurde die Frauenlinie Eve mit der Geschmacksnote Caipirinha ergänzt – ein Bier, das als Cocktail daherkommt.

Reis statt Malz fürs Frauenbier

Eve, das erste Bier nur für Frauen, war vor zehn Jahren eine der aufsehenerregendsten Produkteeinführungen der hiesigen Biergeschichte. «Ein Bier, das nicht nach Bier schmeckt», lautete damals die Anweisung des Marketings an die Entwickler. Es sollte ein Getränk werden für Frauen, die den klassischen Biergeschmack nicht mögen. Brendel und sein Team fanden die Lösung: Sie ersetzten einen Teil des Malzes durch Reis, weil dieser Stärke zuführt, aber keinen Geschmack, und kombinierten es mit Limonaden aus verschiedenen Fruchtsäften, Zucker, Säure und Aromen. Eve ist milder und fruchtiger als normales Bier, auch der Alkoholgehalt ist deutlich tiefer. Je nach Zeitgeist gibt es Eve in verschiedenen Editionen: Einmal ist es Hugo, einmal Margarita. Nur die Version mit Litschi hat die ganze Zeit überdauert. 

«Bier darf nicht ausgespuckt, sondern muss runtergeschluckt werden. Nur so kommen gewisse Aromen und Bitterstoffe voll zur Entfaltung.»

Markus Brendel, Lebensmittelingenieur und Biersommelier

Spross einer Bierbrauerfamilie

Wer Markus Brendels Lebenslauf studiert, erhält den Eindruck, als flösse Bier in seinen Adern. Er wuchs in den Stammlanden von Feldschlösschen in einer Bierbrauerfamilie auf – im aargauischen Magden unweit von Rheinfelden, wo sich die Quelle des Feldschlösschen-Brauwassers befindet. Schon sein Vater und sein Grossvater arbeiteten als Bierbrauer, und mit Brendels Sohn, der eine Lehre als Bierbrauer anstrebt, wird die Familientradition wohl bald in vierter Generation fortgesetzt. Die Väter vermitteln dem Nachwuchs nicht nur die Faszination für den Arbeitsplatz im Bierschloss, sie gaben ihnen auch die passenden Sensorikgene mit. 

Bierverkostungen boomen

Ursprünglich wollte Markus Brendel nach der Matur in München Brauingenieur studieren, entschied sich dann aber doch für eine Lehre als Bierbrauer in der Schweiz bei Feldschlösschen. Im Anschluss daran schrieb er sich bei der ZHAW in Wädenswil am Departement Life Sciences und Facility Management im Fach Lebensmittelingenieurwesen ein. «Das Spektrum des Lebensmittelingenieurs ist breiter als das des Brauingenieurs», erklärt er. «Dank des Studiums kenne ich mich mit vielen Lebensmitteln aus, nicht nur mit Bier.» Dies sei beim Entwickeln von neuen Produkten und natürlich auch in seiner Funktion als Biersommelier von grossem Vorteil.

Während der Bierkonsum in der Schweiz eher stagniert, boomen Bierverkostungen. Jahr für Jahr strömen 30'000 Menschen zu Feldschlösschen nach Rheinfelden, um dort das schöne Sudhaus zu entdecken und die Biere zu kosten.

Mundgefühl, Rezenz, Abgang

Eigentlich geht eine Bierdegustation nicht viel anders vor sich als eine Weinverkostung. Von Interesse sind hierbei die Farbe, der Schaum und der Geschmack, den der Gerstensaft in Nase und Gaumen hinterlässt. Das Vokabular des Biersommeliers steht denn auch dem des Weinsommeliers in nichts nach. Da ist die Rede von Mundgefühl, von Rezenz, von Abgang. Der entscheidende Unterschied kommt erst am Schluss: Bier darf im Gegensatz zu Wein nicht ausgespuckt, sondern muss runtergeschluckt werden. Markus Brendel verrät auch den Grund dafür: «Nur so kommen gewisse Aromen und Bitterstoffe voll zur Entfaltung.»

Autorin: Corinne Amacher