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Von der Hochschule zur Polizei – Chemiker auf Spurensuche

Wenn es in St. Gallen brennt, rückt Roman Büttiker aus und sichert Spuren. Der Brandspezialist der Kantonspolizei kombiniert sein chemisches Wissen mit seinem kriminalistischen Gespür.

Das Rätselhafte, das Verbotene, das Nicht-Alltägliche: Das hat Roman Büttiker schon immer fasziniert. Die TV-Krimiserie «CSI» sog er förmlich auf, versetzte sich in die Ermittler und Forensiker, die in amerikanischen Grossstädten Verbrechen aufklären und dabei auf winzigste Details achten. Denn jede noch so harmlos erscheinende Spur könnte zur Wahrheit führen. Menschen können lügen, Beweismittel nicht. 

Mitten im Dorf brannte ein Mehrfamilienhaus

An einem Sonntag im April ist Roman Büttiker auf Pikett, hält sich an seinem Wohnort Gossau (SG) bereit für einen allfälligen Einsatz. Erfahrungsgemäss passiert immer etwas. Diesmal kommt der Anruf am späteren Nachmittag. Der Fachspezialist der Abteilung Brand und Spezialfälle der Kantonspolizei St. Gallen setzt sich ins Auto und fährt Richtung Grabs. Dort bietet sich ihm ein dramatischer Anblick: Mitten im Dorf steht ein Mehrfamilienhaus in Brand, grosse Teile des Dachs sind eingestürzt. Die Bewohner konnten sich retten, aber das Haus ist unbewohnbar geworden. 

Büttiker rüstet sich für den «Erstangriff», wie es im Polizeijargon heisst, fotografiert den Unglücksort, sucht Brandverlaufsspuren, sichert Beweise. Die Methode ist immer dieselbe: Um den Brandherd zu lokalisieren, sucht er den tiefsten Punkt des Brandes und den Punkt, wo es am stärksten gebrannt hat. Rasch wird klar: Das Feuer muss sich in der Küche im zweiten Stockwerk entfacht haben, denn dort sind die Brandschäden am grössten. Angesengte Holzbalken geben Hinweise auf die Wucht und die Dauer des Brandes.

«Ich mag den Nervenkitzel und die Abwechslung.»

In Momenten wie diesen ist Büttiker in seinem Element, geht auf in seinem Beruf, auch wenn er seine Begeisterung angesichts der Tragik nicht zeigen darf. «Ich mag den Nervenkitzel und die Abwechslung», sagt er, «jeder Fall ist aufs Neue aufregend.» Grabs gehört zu den spannendsten Fällen, die er seit seinem Antritt im Kompetenzzentrum Forensik der Kantonspolizei St. Gallen im Herbst 2017 bearbeitet hat. Dort ist er Teil eines sechsköpfigen Teams, das jährlich rund 180 Brandfälle untersucht. Am Montag, wenn der Rauch in Grabs sich verzogen hat, wird er den Spuren nochmals nachgehen und «Sachbeweise» für die Brandursache sammeln. 

Ein Drang, Dinge zu erkunden

Seit seiner Geburt 1984 legt Roman Büttiker einen ausserordentlichen Drang an den Tag, Dinge zu erkunden. Bevor er wusste, was Wissenschaft ist, legte er Rosenblätter in Wasser ein, um den Geruchsstoff zu extrahieren. Oder er fing im Garten Ameisen ein und versuchte, sie in einem Glas zu kultivieren. Einmal wollte er wissen, wie die Härchen eines Kaktus auf Feuer reagierten – und setzte die Pflanze in Brand. 

Lehre beim Pharmakonzern Novartis

Was lag da näher, als die Chemie zum Beruf zu machen? Büttiker absolvierte beim Pharmakonzern Novartis eine Lehre als Chemielaborant und erlangte berufsbegleitend die Berufsmatur. Nach zwei Jahren Militärdienst, in dem er sich bei der ABC-Einheit durchdiente, stand fest, dass er ein Chemiestudium in Angriff nehmen wollte. 

Er informierte sich bei verschiedenen Fachhochschulen in der Deutschschweiz und entschied sich für die ZHAW: «An der Informationsveranstaltung konnte ich nicht nur eine Vorlesung besuchen, sondern mich auch in Ruhe mit Studierenden unterhalten. Zudem hat sich der Studiengangleiter persönlich Zeit genommen, um Fragen zu beantworten», so Büttiker, «das fand ich sympathisch.»

Das Stelleninserat verhiess ein bisschen «CSI»

Büttiker legte den Schwerpunkt auf die industrielle Chemie, die von Erdölprodukten handelt, und lernte unter anderem, Raffinerieanlagen zu steuern. Er lobt den Praxisbezug des Studiums: «Man wird nirgends besser auf die Arbeitswelt vorbereitet.» Als Diplomarbeit entwickelte er mit dem Industriepartner Geberit eine wasserabweisende Beschichtung für Sanitäreinrichtungen wie Lavabos oder Armaturen. Mehrere Dozierende sind ihm in bester Erinnerung geblieben. Nach dem Diplom im Jahr 2010 arbeitete er noch zwei Jahre als wissenschaftlicher Assistent an der ZHAW.

Über einen seiner Kollegen wurde Roman Büttiker auf ein Stelleninserat der Kantonspolizei St. Gallen aufmerksam, das ein bisschen «CSI» verhiess. Gesucht wurde ein Kriminaltechniker und Spezialist für die chemische Spurenanalyse – ein Job, bei dem er sein Wissen als Chemiker mit der Polizeiarbeit verbinden konnte. Seither ist er «ein Zahnrädchen, das etwas zur Auflösung von Fällen beiträgt», wie er es beschreibt. Das sei ein gutes Gefühl.

Fünf Jahre lang untersuchte Büttiker im Labor die ominösen weissen Pulver, die auf Banknoten oder an Händen von Verdächtigen gefunden worden waren. Dabei merkte er, dass der Polizeialltag nicht nur aus Action, sondern auch aus unspektakulärer Labor- und Büroarbeit besteht. Nebenher absolvierte er die Ausbildung zum Brandursachenermittler, und als im letzten Jahr in der Kantonspolizei St. Gallen die Abteilung Brand und Spezialfälle gegründet wurde, ergriff er die Gelegenheit und wechselte vom Labor an die Front. Dort kommt ihm zupass, dass er modernste bildgebende Verfahren wie eine mobile Röntgenanlage, 3D-Scanner und Drohnen einsetzen kann.

Drohne über der Brandruine

Eine Drohne lässt er auch am Montag über der Brandruine in Grabs steigen, um den Tatort fotografisch zu dokumentieren. Mit einem Arbeitskollegen geht er der Brandursache auf den Grund. Die ersten Vermutungen bestätigen sich: Beim Kochherd hat es die stärksten Brandschäden. Am Herd selbst sind die Drehknöpfe und die Verschalung aus Kunststoff weggeschmolzen. Einer der vier Metallstifte, die zum Ein- und Ausschalten des Herds dienen, ist aufgedreht. Das deutet darauf hin, dass jemand vergessen hat, den Herd abzustellen.

Intensive Spurensuche

Für Büttiker reicht das aber noch nicht als Beweis: Es hätte ja sein können, dass jemand nachträglich am Stift gedreht hat. Also geht die Spurensuche weiter. Am Boden, inmitten von Schutt und heruntergefallenem Isolationsmaterial, findet er zwei Pfannen, die eine mit verbranntem Risotto, die andere leer, aber stark verfärbt. An dieser Pfanne ist an der Nahtstelle zwischen Pfanne und Boden Klebstoff ausgetreten – ein Hinweis auf eine extreme Hitzeeinwirkung. «Verfärbung und Klebstoff deuten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass eine auf dem angeschalteten Herd vergessene Pfanne der Grund für den Brand ist», sagt Büttiker. 

Bericht für den Staatsanwalt

Er muss in solchen Fällen vorsichtig formulieren. Einige Tage später erstellt er in seinem Büro den Bericht zum Brandfall in Grabs, sichtet Fotos, begutachtet das sichergestellte Material, geht alles nochmals im Kopf durch. Die Darstellung ist für die Staatsanwaltschaft von grösster Bedeutung für den Abschluss des Falls. Fürs Verfassen des Berichts nimmt sich Roman Büttiker einen Tag Zeit. Wie bei «CSI» bot der Fall viel Action, nur die Büroarbeit dauert in echt einiges länger als im Fernsehen.

Autorin: Corinne Amacher

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