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Die hohe Kunst des Alterns

Otfried Höffe versteht das Phänomen Alter als Aufforderung, unseren Umgang damit in eine gerontologische Ethik des Denkens und Handelns einzubetten, um das Alter in Würde leben zu können.

Der bekannte Philosoph nimmt uns zunächst mit auf eine Zeitreise durch das Thema Alter, an das bereits viele Philosophen der Antike anschliessen. Wie noch heute, gab es auch damals schon diejenigen, die das Defizit des Alterns betonen wie Hesiod, dann jene wie Platon oder auch Solon, die dem Alter keinen minderwertigen Lebensstatus zuschreiben. Zitat Solon: «Auch als alternder Mensch lerne ich ständig dazu.» Zusammengefasst als «Alterslob und Altersschelte» spannt Höffe den Bogen der philosophischen Abhandlungen von Aristoteles’ Nikomachischer Ethik (grundlegend für ein gelungenes Leben, den Eudaimonismus) über das Kant’sche Modell der Pflichtenethik (in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) zu John Stuart Mills Utilitarismus, als Kollektivwohl des grössten Glücks für die grösste Zahl gedacht, hin zur Kritik all dessen als eine Moralkritik reinsten Wassers, nämlich Friedrich Nietzsches Zur Genealogie der Moral.

Alle vier Grundpositionen sind für eine Ethik des Alters und Alterns bedeutsam, denn sie betonen jeweils wichtige, aber unterschiedliche Aspekte einer geronto­logischen Ethik. Hinzu kommt die zeitbezogene Lebenserfahrung jeder und jedes Einzelnen, die auch Lebensweisheiten anderer Kulturen, Epochen, Beiträge der Kunst, Literatur sowie der ausdifferenzierten Wissenschaften einbezieht. Mit anderen Worten: Die Altersethik ist eine umfassende Aufgabe aller. Denn alle Menschen, wir alle, altern, aber wie wir altern, legen wir vorher in den Grundzügen fest. Unser Altersbild kann negativ (Stichwort: überalterte Gesellschaft) oder positiv (Stichwort: gewonnene Jahre) sein, die Bilder in unseren Köpfen entstehen durch die Grundhaltung der Entscheidungsträger, ob in der Familie, der Politik oder im Bereich der Medizin, um nur die in diesem Zusammenhang wichtigsten zu nennen. 

Griffige Formel für ein gutes Leben

Um den Alltag leichter sozialethisch gestalten zu können, findet Höffe (Um-) Formulierungen, quasi Merksätze, wie den Kant’schen kategorischen Imperativ: Was du (Ergänzung: als Kind) nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem (Ergänzung: Älteren) zu. Eine weitere, wichtige Ergänzung liefern die Neurowissenschaften. Lange wurde davon ausgegangen, das Alter sei generell lernresistent; inzwischen aber ist Solons Aussage auch wissenschaftlich belegt, wonach Neues ein Leben lang gelernt wird. Daraus leitet Höffe die andere griffige Formel ab, die für ein gutes Leben allgemein gilt, im Besonderen aber relevant ist für gelingendes Altern, nämlich: Laufen, Lernen, Lieben, Lachen; vier leicht zu merkende L also.

Wenngleich das alles nicht ganz neu ist, ist dieser Essay durchaus lesenswert. Der Philosoph versteht das Phänomen Alter unter Hinweis auf die Ethikgeschichte als Aufforderung, unseren Umgang damit in eine gerontologische Ethik des Denkens und Handelns einzubetten, um das Alter in Würde leben zu können. Auch die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod, wie sie Peter Noll in seinen «Diktaten» damals so eindrücklich formulierte, bleibt eine Aufgabe von uns Lebenden.

Otfried Höffe
Die hohe Kunst des Alterns: Kleine Philosophie des guten Lebens

München: C.H.Beck 2018, 187 S.
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Zur Rezensentin

Brigitta Klaas Meilier arbeitete nach ihrem Studium der Gesellschaftswissenschaften und Russisch zunächst als Übersetzerin und Lektorin. Als Dozentin für soziologische Fragestellungen im Sozialbereich wirkte sie an Fachhochschulen, Höheren Fachschulen und anderen Institutionen. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, darunter Studien im Rahmen der Frauenforschung, und führt heute das Kulturbüro k&s.