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Der Brand

Nach fast dreissig Jahren Ehe wollte Rahel von ihrem Mann Peter nicht hören, dass ihr Leben ein Irrtum gewesen sei. Das Paar, er Professor, sie Psychologin, hatte sich voneinander entfremdet.

Nachdem er einmal von seinen Studierenden beschimpft worden war, fühlte er sich, als er zerknirscht nach Hause kam, gänzlich von seiner Ehefrau im Stich gelassen. Sie kümmere sich zu sehr um ihre Klientinnen und Klienten, hielt er ihr vor. Rahel sah es anders, sie versuche doch nur, ihrem Beruf gerecht zu werden, indem sie ihre Klientinnen und Klienten unterstütze, die Probleme zu überwinden, in der Ehe, bei Depressionen oder Traumata aus der frühen Kindheit. Gleichzeitig wünschte sich Rahel, ihr Mann verfügte über dasselbe Einfühlungsvermögen wie sie selbst und würde deshalb erkennen, wie sehr auch sie sich innerlich von ihm verlassen fühlte.

Nun steht der Sommerurlaub bevor. Das Paar hatte wegen der Corona-Pandemie beschlossen, die freien Wochen in Bayern zu verbringen, um so einen Kontrast zu ihrem Leben in Dresden zu schaffen. Doch dann erhalten sie einen Anruf von dem Besitzer des Ferienhauses: Das Haus sei abgebrannt, nicht mehr bewohnbar. Seit dieser Hiobsbotschaft vergeht keine Stunde, da klingelt das Telefon erneut. Ruth, eine Freundin von Rahels verstorbener Mutter, die ihre Tochter alleine aufgezogen hat, ist am Apparat, erklärt, ihr Mann Viktor habe einen Schlaganfall erlitten, so dass er die kommenden Wochen in einer Reha-Klinik in Ahrenshoop an der Ostsee verbringen müsse. Ob es Rahel und Peter denn möglich wäre, während dieser Zeit zu ihrem Haus, den Tieren und dem grossen Garten zu schauen. Rahel sagt zu, Peter bleibt keine andere Wahl. Der Aufenthalt, so hofft Rahel, sollte auch dazu dienen, ihre Ehekonflikte anzusprechen, zu klären und sich, wenn immer möglich, wieder einander anzunähern.

Generationenverstrickungen

Mit zunehmender Lektüre wird auch die im Roman angelegte generationenübergreifende Thematik immer klarer. Rahels Tochter kommt mehrmals mit ihren zwei wilden Buben zu Besuch, insbesondere weil sie dabei ist, sich wegen ihrer Affäre von ihrem Ehemann zu trennen und deshalb von ihren Eltern Unterstützung erwartet. Auch Rahels Tochter-Vater-Geheimnis wird schliesslich aufgedeckt. Bei ihren wiederholten Besuchen in Viktors Atelier erkennt die ohne Vater aufgewachsene Rahel immer deutlicher, dass es sich bei den Kinderporträts und Skulpturen um sie selbst handeln muss. Als würde Viktor ahnen, dass sich aufgrund von Rahels wochenlangem Aufenthalt in seinem Haus das Tabu nicht mehr länger aufrechterhalten lässt, wählt er, kaum kann er wieder einige Schritte alleine zu Fuss gehen, den Weg ins Wasser. Nach Viktors Tod bringt ein Gespräch mit Ruth die vollständige Gewissheit: Viktor war tatsächlich Rahels Vater.

Daniela Krien hat mit 'Der Brand' bedeutsame Themen aufgegriffen, die einen zum Nachdenken anregen: Wie lässt sich die innere Entfremdung zweier Menschen nach einer langjährigen Ehe überwinden? Und mit dem anderen Erzählstrang: Wäre es nicht viel besser, schon in früheren Jahren zu seiner eigenen Lebensgeschichte zu stehen, so dass im hohen Alter nicht der Ausweg in den Suizid gewählt werden muss?

Daniela Krien
Der Brand: Roman
Zürich: Diogenes, 2021, 271 S.

Das Buch in ZHAW swisscovery

Zur Rezensentin

Dagmar Schifferli war während vieler Jahre Dozentin für Gerontologie und Sozialpädagogik. Seit 1996 veröffentlicht sie Romane (u.a. Wegen Wersai, Anna Pestalozzi-Schulthess, Wiborada) sowie Fachartikel in Sachbüchern. Ausserdem unterhält sie eine Kolumne im Grosseltern-Magazin.