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Qualität in der Ergotherapie – betrachtet durch vielerlei Brillen

Am 5. März verfolgten gut 90 Teilnehmende online den 6. Winterthurer Ergo-Gipfel. Dieser drehte sich in zahlreichen Referaten und Diskussionen um das Thema Qualität in der Ergotherapie. Und dies aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

«Unsere Welt ist komplex», sagte Christiane Mentrup, Leiterin des Instituts für Ergotherapie, in ihrer Begrüssung. Diese Komplexität widerspiegle sich auch im Thema Qualität: vielfältige therapeutische und technische Möglichkeiten und steigende Ansprüche bezüglich Evidenz, Effizienz und Nachhaltigkeit, verbunden mit der Erwartung an eine ständige, systematische Verbesserung der Qualität und Patientensicherheit. Um dieser Situation und den zahlreichen Stakeholders Rechnung zu tragen, seien «multiperspektivische Diskussionen» gefragt. Dazu wolle der Ergo-Gipfel mit «geballter Expertise» von Referierenden und Teilnehmenden einen Beitrag leisten. 

Ergotherapeutisches Potenzial sichtbar machen

Mit ihrer langjährigen Expertise startete die Australierin Marilyn Pattison als «Gipfelstürmerin» ihr Referat. Die ehemalige Präsidentin des Weltverbands WFOT ermutigte ihre Berufskolleginnen und -kollegen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Denn im hart umkämpften Gesundheitswesen müssten Ergotherapeuten/-innen nachweisen, dass ihre Dienstleistungen von hoher Qualität seien. Dabei spielten Qualitätsindikatoren eine wichtige Rolle. Nur was gemessen werden könne, habe faktisch einen Wert. Im WFOT habe diese Erkenntnis zur Entwicklung des Quality Evaluation Strategy Tool QUEST geführt. Das zweistufige Qualitätsbewertungsprozess-Tool steht auf der WFOT-Webseite kostenlos zur Verfügung – ebenso wie verschiedene Case Studies. 

Yvonne Treusch, Studiendekanin Bachelor Ergotherapie an der Hochschule Döpfer in Köln, schloss an Pattisons Referat an. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Luis Möckel, ebenfalls Studiendekan und Biophysiker, erörterte sie, wie ergotherapeutische Leistungen mehr unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen zugutekommen könnten. Die Schwierigkeit dabei sei, dass es oft an Evidenz und Überzeugungsarbeit mangle, um im interprofessionellen Wettkampf an Fördergelder zu kommen. Ihre Empfehlung daher: Ähnlich wie Körperzellen, die eigene Abbaustoffe wiederverwerten, müssten Ergotherapeuten/-innen bestehende Daten möglichst optimal und nachhaltig nutzen. Beispielsweise, indem vorhandene Patientendaten retrospektiv ausgewertet oder bestehende Studien und Metadaten genutzt würden. 

Qualität beginnt beim Menschen 

Als erfahrene Qualitätsmanagerin und Ergotherapeutin betonte Claudia Lenz als vierte Gipfelstürmerin, Qualität müsste bei personenbezogenen Dienstleistungen auf den Menschen fokussieren. Damit die Qualitätsentwicklung gelingt, nannte sie Faktoren auf vier Ebenen: Gesellschaft, Organisation, Interaktion und Individuum. So prägten etwa gesellschaftliche Werte die Qualität ebenso wie die Führung auf institutioneller Ebene. Gegen den Willen der Führung sei Qualität nicht machbar. Hingegen könnte der Einbezug aller Mitarbeitenden in ein Leitbild sowie unbürokratische Prozesse der Qualität zuträglich sein. Auf der Ebene Interaktion spielten etwa Kommunikation und die Verteilung von Verantwortlichkeiten eine wichtige Rolle. Und nicht zuletzt hätte die Qualität auch unmittelbar mit der individuellen Einstellung gegenüber den Menschen im eigenen Umfeld zu tun.

Sicht des unbekannten «Wesens» Patient 

Um den Menschen drehte sich auch das Referat der «Erstbesteigerin» Susanne Gedamke. Die Geschäftsführerin der Schweizerischen Patientenorganisation SPO berichtete über die Studie «Quality through patients eyes». Diese zeigt auf, dass die Patientensicht auf die Behandlungsqualität bislang kaum erhoben wird. Zudem gebe es im Kontakt mit Gesundheitsfachkräften nach wie vor zahlreiche Asymmetrien und Missverständnisse, was letztlich auch dazu führe, dass die Ressourcen der Patienten/-innen ungenutzt blieben. Wie wertvoll die Ressourcen der Klienten/-innen sein können, zeigte das Referat von Franziska Heigl. So wurden in der ambulanten interprofessionellen Schmerzrehabilitation des Inselspitals Bern vor kurzem Klientinnen und Klienten in die Überarbeitung eines Arbeitshandbuchs miteinbezogen. Das Resultat, ein handlicher, inhaltlich und strukturell optimierter Ordner, komme diesen Monat erstmals zum Einsatz. 

Den interprofessionellen Blickwinkel griff Philippe Luchsinger, Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, auf. Er betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit und zeichnete dabei das Bild einer Seilschaft, die den Gipfel gut gelaunt und unversehrt erreicht – im Gegensatz zum Einzelkämpfer, der dehydriert und erschöpft am Berg scheitert.

Ebenfalls als Erstbesteigerin sprach die Präsidentin des ErgotherapeutInnen-Verbands Schweiz (EVS), Colette Carroz. Unter dem Titel «Qualität in aller Munde» fasste sie Entwicklungen auf nationaler Ebene sowie auf derjenigen des Verbandes zusammen. Hochaktuell ist dabei die Ausarbeitung des Qualitätsvertrags und -konzepts im Rahmen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG  Art. 58). Die Eingabe der Dokumente an den Bundesrat verzögere sich jedoch. Dies unter anderem, weil die Finanzierung der Aufwände ein Knackpunkt darstelle. Auf Verbandsseite verwies Carroz auf das Qualitätsmanual. Zudem setze sich der EVS mit der Frage auseinander, ob und wie das vom Weltverband entwickelte QUEST in der Schweiz eine Rolle spielen könnte. Letztlich, so Carroz, sei jedoch wichtig zu verstehen, dass Verband, Fachhochschulen und praktizierende Ergotherapeuten/-innen im selben Boot sässen und gemeinsam die Qualität in der Ergotherapie steuerten.

Austausch auf «Wonder» und vielfältige Basislager

Persönliche Vernetzung war auch am virtuellen Ergo-Gipfel zentral. Diese fand einerseits in den Diskussionsrunden im Anschluss an die Referate statt. Andererseits hatten die Teilnehmenden nach dem Mittagessen die Gelegenheit, sich auf der Plattform Wonder an virtuellen Ständen mit Vertretern/-innen von EVS, ZHAW, WFOT und ergoscience sowie mit Berufskollegen/-innen auszutauschen. Zum Schluss wählten die Teilnehmenden aus, welche der eingereichten «Basislager»-Referate sie mitverfolgen und diskutieren wollten. Die Themenauswahl reichte vom Schulungsprogramm für Betreuende von Parkinson-Betroffenen über «Smarter Medicine» bis zu Sexpositiver Ergotherapie.  

Nach den reichhaltigen Beiträgen fasste Claudia Roesle als EVS-Vorstandsmitglied den Ergo-Gipfel zusammen. Sie zeigte sich beeindruckt darüber, was Ergotherapeuten/-innen alles für ihre Klienten/-innen auf die Beine stellten und konstatierte, der Tag habe den komplexen Begriff Qualität mit konkreten Inhalten füllen können. Es gelte jedoch weiterhin zu erörtern, was in der Ergotherapie «gute» Qualität sei. In Anlehnung an Marilyn Pattison schloss sie mit dem Aufruf: «Haben wir Selbstvertrauen, dass wir Ergotherapeutinnen und -therapeuten viel bewegen können, denn wir sind bereits auf einem guten Weg». 

Viel zu bewegen wird es auch am nächsten Ergo-Gipfel geben. Am 4. März 2023 soll dieser erstmals im Haus Adeline Favre der ZHAW in Winterthur stattfinden.