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«ChatGPT wird ein fester Bestandteil des Unterrichts werden»

Es generiert Texte zu jedem Thema, fasst in Sekundenschnelle komplizierte Aufsätze in Stichpunkten zusammen und imitiert sogar Schreibstile berühmter Autor:innen: ChatGPT gilt als Gamechanger im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Doch wie verändert der Chatbot-Prototyp der US-Firma OpenAI Lehre und Forschung? Olaf Stern, Studiengangleiter Informatik und Mark Cieliebak, Leiter der Natural Language Processing Group am Centre for Artificial Intelligence (CAI) haben Antworten.

Mark Cieliebak, ChatGPT wird von nicht wenigen als KI-Revolution angesehen, was genau ist denn das Revolutionäre daran?

Mark Cieliebak: Die Technologie für Text-Generierung ist nicht neu, sie gibt es schon seit 2015/16 und auch GPT-Modelle werden schon seit einigen Jahren angewendet. Technisch neu ist jetzt die von der Firma Open AI eingebaute Dialogfähigkeit, die es vermag, sich den Kontext eines Gesprächs zu merken und auf diesen Bezug zu nehmen. Revolutionär hat das Ganze dann das einfache Userinterface gemacht, in das man einfach reinschreiben kann, was man will – so wie wir es von Google kennen. Der Zugang für die breite Masse, nicht nur für ein paar Programmierer, das macht es zum Gamechanger.

Olaf Stern: Usability für die breite Masse – so lässt es sich zusammenfassen. Ich würde noch ergänzen, dass die Technologie nun als Programmierschnittstelle (API) für unzählige Anwendungen zur Verfügung gestellt werden kann. Viele Dinge werden sich verändern, ohne, dass wir es merken – beispielsweise bei der Funktionsweise von Suchmaschinen. Die Veränderungen durch ChatGPT sind für mich vergleichbar mit dem Übergang vom einfachen Mobiltelefon zum Smartphone. 

Jedoch muss man sich im Klaren sein, dass die Technologie ein grosser Multiplikationsfaktor für den Stromverbrauch ist, wenn diese Anwendungen in allem möglichen Facetten State of the Art werden. Schon jetzt benötigt das Streamen von Filmen oder der Gebrauch von Google horrende Strommengen. Bei ChatGPT reden wir dann nicht über ein Promille des weltweiten Stromverbrauchs, sondern über ganz andere Grössenordnungen.

In welchen Bereichen wird diese Technologie überall eingesetzt werden?

Mark Cieliebak:
Beispielsweise für Webseiten. Es gibt Tools, denen man die URL einer Homepage übergibt, und die dann einen Chat-Client dafür bauen. Nimmt man jetzt die Homepage einer Firma im Umfeld der ZHAW, könnte man zum Beispiel fragen: «Wann wurde das Unternehmen gegründet? Und welche Rolle spielte die ZHAW bei dessen Entstehung?»

Olaf Stern: Oder wenn Studieninteressierte auf die ZHAW-Seite gehen, könnten sie fragen: «Ich interessiere mich für den Informatik-Studiengang, bitte gib mir dazu die wichtigsten Informationen.» Als Antwort bekommt man dann nicht nur ein paar Links, sondern gleich den ganzen Kontext dazu – so kann man quasi mit der Homepage sprechen. Die Antworten werden deutlich qualifizierter sein als sie ein Mensch je geben kann, weil die Maschine, wenn sie korrekt implementiert ist, spezifisch für ein Suchgebiet qualifiziert ist.

Mit ChatGPT lassen sich Stichpunkte zu ganzen Texten umwandeln oder Kernaussagen aus Fachartikeln herausfiltern – wie wird sich dadurch das Studieren verändern?

Olaf Stern:
Hier muss man differenzieren. Ganz klar ist, dass ChatGPT fester Bestandteil des Unterrichts werden wird. Wir können keine Software-Entwickler ausbilden ohne State of the Art-Werkzeuge zu nutzen. Die andere Frage ist, wie man damit umgeht, wenn Studierende ihre Texte nicht mehr selbst schreiben, sondern von ChatGPT generieren lassen. Dann müssen die Studierenden die Aussagen in den Texten nachvollziehen und überprüfen können, da nicht sichtbar ist, ob die Quellenangaben belegbar sind oder es sich um reine Fiktion handelt, die sich das Tool aus Statistiken zusammengezogen hat. Sie müssen also lernen, mit diesem Werkzeug kritisch umzugehen. Daneben gibt es aber auch viele rechtliche Fragen zu lösen, die bis jetzt noch nicht geklärt sind – beispielsweise in Sachen Urheberrecht und Copyright. In diesen Bereichen ist aktuell noch sehr viel im Fluss und in der Diskussion. 

An der School of Engineering haben wir im Vergleich zu anderen Hochschulen jedoch bereits vor Weihnachten eine Policy für Bachelorarbeiten initiiert und entwickelt, abgeleitet von einem internationalen Standard, welche dem Umgang mit diesem Werkzeug versucht, Rechnung zu tragen. Sie gibt Dozierenden eine Art Guideline an die Hand, wie sie mit ChatGPT umgehen sollen. Das läuft darauf hinaus, dass Studierende sich kritisch damit auseinandersetzen und sich klar machen müssen, dass sie für das, was ChatGPT schreibt, verantwortlich sind. Auch was die rechtlichen Aspekte angeht, muss deklariert werden, in welchem Umfang ich das Werkzeug eingesetzt habe. Denn auch schon früher konnte man für eine Arbeit Kolleg:innen nach deren Meinung fragen, musste aber dann die Zitate angeben. So ähnlich muss man dann auch mit ChatGPT umgehen. Die Anregungen und Inputs von diesem Tool müssen angegeben und verifiziert sein. 

Marc Cieliebak: Noch nicht geklärt ist allerdings, wie man das Vorgehen der Studierenden beurteilt und welche Note sich daraus ergibt. Wenn jemand zum Beispiel sagt, er habe von Bullet Points ausgehend einen Text von ChatGPT erstellen lassen. Hat nun die:der Studierende diese Leistung selbst erbracht oder nicht? Oder wie bewertet man den Fall, wenn Studierende ChatGPT nach Ideen für Teile in ihrer Arbeit fragen und davon eine auswählen? 

Olaf Stern: In einem solchen Fall, könnte ich mir vorstellen, dass Studierende sich mit den Lösungsmöglichkeiten kritisch auseinandersetzen und erklären und begründen müssen, warum sie beispielsweise Idee Nr. 3 von ChatGPT ausgewählt haben. 

Sollten nun Studierende den Gebrauch von ChatGPT nicht kenntlich machen, gibt es für diesen Fall eine Möglichkeit, das herauszufinden?

Marc Cieliebak:
Man kann zurzeit nicht zuverlässig automatisch feststellen, ob ChatGPT den Text geschrieben hat, dafür sind die Texte mittlerweile einfach zu gut. Aber es soll Technologien geben, die sogenannte Watermarks einbauen können. Wobei man davon ausgehen muss, dass das innerhalb eines Tages gehackt und wieder entfernt wird. Aber wenn du als Dozent:in deine Studierenden gut kennst und weisst, wie die- oder derjenige schreibt, lässt sich am Schreibstil erkennen, ob der Text selbst geschrieben oder generiert wurde. 

Die KI-Technologie wird die Arbeitswelt stark verändern. Lässt sich schon jetzt sagen, in welchen Bereichen sich die Veränderungen am schnellsten vollziehen?

Marc Cieliebak:
Vor allem im Kreativbereich wird es heute schon angewendet. Beispielsweise lassen sich Bilder für eine Werbekampagne generieren. Logos und selbst zielgerichtete Werbeslogans sind innerhalb kürzester Zeit gestaltet und geschrieben, wofür ein Designer oder ein Texter bisher mehrere Tage gebraucht hat. Auch als Ideengeber für Texte oder Experimente lässt sich ChatGPT nutzen. Das Software-Engineering hat sich bereits massiv verändert: Es gibt KI-Tools wie CoPilot, die Software-Entwickler:innen beim Programmieren unterstützen. Dabei wird neuer Programmcode vorgeschlagen oder Verbesserungen für existierenden Code. Das geht manchmal so weit, dass es reicht, die gewünschte Funktionalität zu beschreiben, und CoPilot generiert den gesamten Code automatisch. Ich erwarte, dass das in Zukunft auch für das Gestalten von Webseiten gehen wird, wo man dem KI-Tool nur beschreibt wie die Website aussehen soll, und es erzeugt den gesamten HTML-Code automatisch.

Olaf Stern: Auch ganz andere Bereiche, wie etwa die Helpdesk-Branche, werden massive Änderungen erfahren. Sämtliche Callcenter werden komplett durch solche KI-Werkzeuge ersetzt werden, da die Qualität denen bereits heute weit überlegen ist. Auch der autonome Bereich, ich denke hier vor allem an Roboter, wird einen grossen Sprung machen. Ihre Interaktionsfähigkeit ist heute noch recht spartanisch, wird aber durch KI eine völlig neue Qualität bekommen. Gerade im Therapie-Bereich oder auch bei der Betreuung älterer Menschen wird KI breit zur Anwendung kommen, da man jetzt ein Interface hat, das funktioniert.

Wie wird sich ChatGPT auf Arbeit in der Forschung auswirken?

Mark Cieliebak: Das Schreiben von wissenschaftlichen Publikationen wird auf jeden Fall einfacher. Beispielsweise bei der Erstellung von Abstracts aus Stichwörtern, bei der Literaturrecherche, oder man kann sich passende Titel für sein Paper generieren lassen. Auch kann es in der Forschung selbst sinnvoll eingesetzt werden, etwa bei der Sammlung von Daten für ein Experiment.

Olaf Stern: Es wird sicher in der Forschung als Hintergrundwerkzeug zum Einsatz kommen, etwa in der Recherche. Auch lassen sich damit mehrere Studien zusammenfassen, quasi eine Metastudie. Hier ist diese Technologie sehr stark.

Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es weiter mit dieser Technologie, was sind die nächsten Entwicklungsschritte?

Mark Cieliebak:
Es gibt ein einige Sachen, die darauf warten, gebaut zu werden. Zum einen die Verarbeitung von Echtzeitdaten, bis jetzt nutzt ChatGPT nur Daten bis 2021, ist also nicht ganz aktuell. Zum anderen wird es um die Integration von Datenbanken gehen. Auch die Grösse spielt eine Rolle: Ich erwarte, dass in Zukunft kleinere Modelle zur lokalen Anwendung auf einem eigenen Server gebaut werden, die annähernd die gleiche Leistung haben wie die grossen Modelle. Im technologischen Bereich kommt als nächstes die Integration verschiedener Modalitäten, etwa Bilder, Videos und Texte. So lassen sich vermutlich demnächst mittels Sprache Bilder modifizieren: beispielsweise sagt man «ich möchte auf diesem Bild oben links den Kirchturm entfernen», und daraufhin verschwindet dieser. Ähnlich wird man voraussichtlich interaktiv Programme und Webseiten designen können. Das wird sicher nicht in den nächsten Monaten möglich sein, aber vermutlich in weniger als zehn Jahren.

Neues Kompetenzzentrum informiert über Auswirkungen von KI

Als Reaktion auf das neue Tool ChatGPT hat das Centre for Artificial Intelligence (CAI) der ZHAW das Kompetenzzentrum "GenerativeAI" gegründet. Ziel des Zentrums ist es, die Auswirkungen von generativen Modellen wie ChatGPT auf die Gesellschaft zu untersuchen, Forschung an und mit diesen Modellen zu betreiben und Anwender:innen zu beraten und zu unterstützen. 

Alle kommenden Veranstaltungen und Aktivitäten des Kompetenzzentrums finden Sie hier.