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Master-Thesis Constructive Project

Die Master-Thesis ist die Abschlussarbeit des Masterstudienganges. Für ein frei gewähltes Untersuchungsthema wird im Rahmen einer individuellen Entwurfsrecherche ein repräsentatives Projekt ausgearbeitet. Die Studierenden sind dabei im engen Austausch mit Dozierenden und themenspezifischen FachexpertInnen.

Im Master stehen die eigenständige Entwurfsarbeit und der Umgang mit komplexen Bedingungen im Mittelpunkt. Es wird geübt, scheinbar unübersichtliche und gegensätzliche Fragestellungen zu strukturieren und sich für den Entwurf zu Nutzen zu machen, anstatt ihnen ausgeliefert zu sein. So stehen – im Gegensatz zu einer Bauaufgabe – im Master eigentliche architektonische Fragestellungen im Vordergrund.

Die Master-Thesis mit der freien, individuellen Themenwahl verlangt selbstständiges Arbeiten, wenngleich unter Anleitung. Es gilt, die selbst gewählte Fragestellung in eine repräsentative und produktive Entwurfsrecherche zu überführen. Dozierende, externe Ko-ReferentInnen und themenspezifisch gewählte FachexpertInnen begleiten die Studierenden methodisch und fachlich in den drei Phasen von Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung.

Im Rahmen der Vorbereitung formulieren die Studierenden das individuell gewählte Thema sowie die zugehörigen Forschungsfragen und -ziele. Im darauffolgenden Semester wird die Fragestellung während 16 Wochen im Rahmen einer exemplarischen Entwurfsrecherche ausgelotet und ein repräsentatives architektonisch-konstruktives Projekt erarbeitet. Der Abschluss der Master-Thesis umfasst die selbstreflexive Auswertung der Erkenntnisse sowie die Darstellung der gesamten Masterarbeit in Form einer Broschüre.

 

FS 2023

Master-Thesis Rebecca Strässle

Naturverbundenes Wohnen in der Kulturlandschaft

Erhalt und neue Nutzung von Obstbaumkulturen
Master-Thesis Constructive Project 
Frühlingssemester 2023

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger
Koreferenten: Barbara Wiskemann, dipl. Arch. ETH BSA SIA und Matthias Stocker, Architekt BA ZFH

SIA-Masterpreis Architektur 2023, Anerkennung

Vorwort der Dozierenden

Die jahrhundertealte Tradition der Bewirtschaftung von Obstbaumkulturen im Kanton Thurgau ist ein wesentlicher Teil der Kulturgeschichte – so ist der «Apfelkanton» Thurgau seit etwa 1850 auch unter dem Beinamen «Mostindien» bekannt. In vielen Ortschaften prägten Obstbaumkulturen aber nicht nur den Landschaftsraum, sondern sind auch ein prägender morphologischer Bestandteil innerhalb der dörflichen Strukturen. Wo Obstbaumkulturen inmitten der bebauten Ortschaft direkt an den Strassenraum heranreichen, ist die typische Kulturlandschaft auch im bebauten Kontext präsent.

Die Obstbaumwiesen innerhalb der ländlichen Ortschaften kommen allerdings, aufgrund der steigenden Nachfrage nach Wohnungen und mit der zunehmenden Bautätigkeit unter dem Primat der ‹Verdichtung nach Innen›, stark unter Druck. Sie werden nicht als schützenswerte Bestandteile des Ortsbildes, sondern als Baulandreserve wahrgenommen. Mit dem Überbauen der verbliebenen Obstbaumwiesen gehen die charakteristischen Freiräume des schützenswerten Ortsbildes unwiederbringlich verloren.

Vor diesem Hintergrund stellt Rebecca Strässle mit ihrer Masterthesis die Hypothese auf, im Spannungsfeld von Ortsbildschutz und einer massvollen ‹Verdichtung nach Innen› eine spezifische Typologie für das Wohnen in Obstbaukulturen zu entwickeln. Hierbei sollen die Obstwiesen als Bestandteile des Ortsbildes lesbar bleiben, zugleich bietet das naturnahe Wohnen als ländliche Wohnform eine attraktive Alternative zu den konventionellen Siedlungstypologien.

Exemplarisch wird für ein Grundstück im Ortskern von Zuzwil untersucht, inwiefern die letzte, verbliebene Obstbaumwiese bei gleichzeitig massvoller innerer Verdichtung ihre Identität als Freiraum beibehalten kann. Mit dem Ziel einer Koexistenz von Kulturlandschaft und Architektur wird ein Vorschlag für ein naturnahes und ressourcenschonendes Wohnen in der Obstbaumwiese entwickelt. In die Untersuchung einbezogen sind eine verträgliche landschaftliche und ortsbauliche Dichte, das Abstimmen von Gebäudevolumen und Freiraum, wurzelschonende Fundationen und die Leichtigkeit der Konstruktion, eine hohe Grundrisseffizienz, und nicht zuletzt auch der Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Es resultiert ein Entwurfsvorschlag, dem es gelingt, reizvollen, auf knappsten Raum konzentrierten Wohnraum in den Bestand der Obstbaumkultur einzuschreiben und zugleich mit 51 Wohnungen eine Baumassenziffer von 1,5 zu erreichen.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass die Themenwahl der Arbeit romantisch sei und sich dem unabwendbaren Fortschritt verschliesse. Hier ist festzustellen, dass aufgrund der zunehmenden Bauaufgaben im baulichen Bestand die Frage des Ortsbildschutzes eine zunehmende Bedeutung erfährt. Als schützenswertes Kulturgut für die Identifikation mit dem Ort und dem kulturellen Umfeld bilden historisch gewachsene Strukturen letztlich die Grundlage für ein Heimatgefühl in einer zunehmend globalisierten Welt – und stellen ein kostbares Erbe dar. Mit diesem Erbe müssen wir auch im Interesse der nachfolgenden Generationen sorgsam umgehen. Was wir heute nicht wertschätzen, wird in Zukunft vielleicht wieder kostbar sein und für einen nächsten Fortschritt stehen.

Zu dieser Diskussion um die Zukunft unseres Lebensraumes leistet Rebecca Strässle mit ihrer Masterthesis einen ebenso eigenständigen wie inspirierenden Beitrag. Auch wenn es für die Parzelle in Zuzwil zu spät ist, da das Bauprojekt bereits unterwegs ist, kann der exemplarische Entwurf als Matrix für eine mögliche Typologie gelten. Indem die Untersuchungshypothese glaubhaft belegt und auf andere Orte übertragbar ist, weist die Arbeit über sich hinaus.

 

Master-Thesis Michelle Schneider

Fenster Re-Use

Untersuchung des Wiederverwendungs-Potentials von Fenstern am Beispiel eines Ersatzneubaus der Baugenossenschaft im Gut, Zürich.
Master-Thesis Constructive Project 
Frühlingssemester 2023

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger

Vorwort der Dozierenden

Die Klimakrise ist im Bewusstsein der Architektinnen und Architekten angekommen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, die immense Abfallproduktion und den beträchtlichen CO2-Ausstoss bei der Erstellung von Neubauten zu verringern, sind neue Wege aufzuzeigen. Die vorliegende Masterthesis betrachtet dabei das grosse Potenzial, das in der Wiederverwendung von Fenstern liegt. Dazu formuliert Michelle Schneider zu Beginn der Arbeit einige überzeugende Argumente:
– Fenster sind ein extrem energieintensives Bauteil: bei der Herstellung von 1 m2 Dreifachverglasung wird bis zu dreimal so viel CO2 in die Atmosphäre entlassen wie bei der Produktion von 1m2 Betondecke.
– Fenster sind mit verhältnismässig wenig Aufwand auszubauen, die Fensterflügel können sogar einfach ausgehängt werden.
– je nach Exponierung der Fassade kann eine wiederverwendete Zweifachverglasung auch im Betrieb energetisch sinnvoller sein als eine neue Dreifachverglasung.

Die entwerferische Untersuchung erfolgt auf der Grundlage des siegreichen Wettbewerbsbeitrags der Arbeitsgemeinschaft Lütjens Padmanabhan Architekten und Caruso St John Architects für einen Ersatzneubau der Genossenschaft Im Gut an der Gutstrasse in Zürich. Der fiktive Projektvorschlag soll eine Hülle aus wiederverwendeten Bauteilen von geplanten Abbrüchen in einem Radius von rund zwei Kilometern erhalten. Akribisch werden in den nächsten Jahren vorgesehen Abbrüche in der näheren Umgebung aufgenommen und von vier Siedlungen die daraus frei werdenden Fenster mit allen Massen und den wichtigen bauphysikalischen Eigenschaften katalogisiert. Schon die unglaubliche Menge von mehr als 4000 Fenstern zeigt den Handlungsbedarf auf. Wichtig ist dabei auch die Erkenntnis, dass eine grosse Anzahl der Fenster aufgrund der Normierung der Erstellungszeit der dreissiger bis (in die) sechziger Jahre viele gleiche Masse aufweisen und auch die im Laufe der Jahre bei Sanierungen eingesetzten Zweifachverglasungen diese standardisierten Masse übernommen haben.

Beeindruckend ist die wissenschaftliche Vorgehensweise von Michelle Schneider. Alle katalogisierten Fenster werden bezüglich eines optimalen Wiedereinbaus bewertet und ein Aufbereitungsvorschlag ausgearbeitet. Der Aufwand für den Ausbau, die Instandsetzung und die Lagerung aller katalogisierten Fenster wird sorgfältig dargestellt und mit einem Preisschild versehen. Sozusagen als Beifang werden auch die zugehörigen Fensterläden in die Untersuchung einbezogen.

Der eindrückliche Katalog dient als Grundlage für eine tiefgreifende architektonische Auseinandersetzung über die Bedingungen einer Hülle aus wiederverwendeten Bauteilen. Dabei werden räumliche Untersuchungen (Fenster als Raum), konstruktive Erkenntnisse (Umgang mit Massdifferenzen und Prinzipien der Rückbaubarkeit) und bauphysikalische Eigenschaften (unterschiedliche Eignung von Fenstern nach Ausrich- tung der Fassade) in einer Vielzahl detaillierter Darstellungen und Berechnungen gleichwertig zueinander in Beziehung gesetzt und ideale Einbausituationen formuliert. Anhand der Fallstudie der Genossenschaft Im Gut wird eine architektonische Umsetzung der Wiederverwendung von Fenstern und Fensterläden konstruktiv detailliert und bis hin zu Fragen von Montage und Toleranzaufnahme exemplarisch dargestellt. Eine abschliessende vergleichende Kostenberechnung von «neuer» und «wiederverwendeter» Fassade zeigt, dass eine Fassade aus Re-Use Teilen nicht teurer als eine konventionelle Bauweise ist.

Michelle Schneider deckt mit der vorliegenden Arbeit das grosse Potenzial der Wiederverwendung von Fenstern beispielhaft auf. Das neue Kleid aus alten Bauteilen transportiert die Geschichte der ursprünglich am Ort und in der Nachbarschaft bestehenden Häuser in eine überraschend zeitgemässe Fassade. Die Untersuchung überzeugt dabei gleichermassen in ihrer analytischen, konstruktiven und architektonischen Tiefe und liefert eine umfassende und fundierte Grundlage, um den dringend notwendigen politischen Prozess der Auseinandersetzung mit dem wertvollen Bestand unseres Gebäudeparks weiter anzustossen.

 

Master-Thesis Svenja Schlegel

Baukultur - Weiterbauen von Identität

Exemplarische Entwurfsrecherche über die Instandsetzung eines Innerschweizer Bauernhauses
Master-Thesis Constructive Project 
Frühlingssemester 2023

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger

Vorwort der Dozierenden

Svenja Schlegel erkennt in der bestehenden Bausubstanz einen doppelten Wert: den materiellen Wert der grauen Energie, der zur Erstellung eingesetzt wurde und den ideellen Wert, der jedem Bauwerk innewohnenden Geschichte und der damit verbundenen Identität. Daher sieht sie im Erhalt von identitätsstarker Bausubstanz die Möglichkeit, eine ökologisch-nachhaltige und dauerhafte Architektur zu formulieren. Bei einer notwendigen Sanierung oder bei Umbauten und Erweiterungen proklamiert sie das Prinzip der kompositorischen Fügung von erhaltenswerten und neuen Teilen als Mittel, um die den Gebäuden innewohnende Baukultur weiterleben zu lassen. Aus Gründen der Nachhaltigkeit soll bei diesen Prozessen der Raum immer im Hinblick auf eine suffiziente Nutzung gedacht werden.

Die vorgesehene Instandsetzung eines Bauernhauses am Zugersee für die Stiftung «Wohnen im Baudenkmal» ist Grundlage, um diese Grundsätze in einer exemplarischen Entwurfsrecherche architektonisch zu erforschen. Auf der Basis einer detaillierten Analyse des Bestandes und einer präzisen Auseinander- setzung mit der zukünftigen Nutzung entwickelt Svenja Schlegel einen umfassenden Vorschlag, bei dem sowohl Alt und Neu als auch die Architektur und das Programm im symbiotischen Dialog zueinander stehen. In beeindruckender Tiefe werden eine Vielzahl funktionaler, konstruktiver und architektonischer Untersuchungsthemen verfolgt und diese schliesslich zu einem atmosphärisch dichten Projekt verwoben. Ebenso dicht ist die Darstellung in sorgfältig gezeichneten Plänen und stimmungsvollen Modellfotos. Faszinierend ist dabei der formulierte Gedanke, dass Bauwerke im Prozess gedacht werden müssen – die stetige Transformation unserer Häuser mit kompositorischen Fügungen erlaubt es, diese konstruktiv in Stand zu halten und laufend den neuen programmatischen Bedürfnissen anzupassen. So wird der noch immer übliche Abbruch obsolet.

Die Thesisarbeit von Svenja Schlegel überzeugt durch die Tiefe der im Projektvorschlag eingearbeiteten Themen der Fragestellung und die Kohärenz der Darstellung. Er stellt eine gültige Antwort für die formulierten Untersuchungsthemen, aber auch für die konkrete Bauaufgabe dar. Die Umsetzung des überzeugenden Vorschlags in ein reales Bauprojekt wäre dem Bauernhaus durchaus zu wünschen.

FS 2022

Master-Thesis Sandro Hauser

Alpine Rekomposition

Über das Wiederverwenden von Stahlinfrastrukturen im Misox
Master-Thesis Constructive Project 
Frühlingssemester 2022

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Astrid Staufer
Koreferenten: Franz Romero, dipl. Arch. ETH BSA SIA, und Marco Graber, dipl. Arch. ETH BSA SIA 

SIA-Masterpreis Architektur 2022
 

Vorwort der Dozierenden

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist die Dringlichkeit des ressourcenschonenden Bauens unbestritten. Insbesondere das Thema des Re-Use von Bauteilen hat aktuell, mit dem Aspekt der grauen Energie als wesentlicher Parameter zur Reduktion der CO2-Emissionen, als Fragestellung stark an Relevanz gewonnen.

Mit seiner Masterthesis untersucht Sandro Hauser die Wiederverwendung von obsolet gewordenen Stahlinfrastukturen im alpinen Raum des San Bernadino, wo mit der Schliessung des Skigebietes Confin sechs in der Landschaft zurückgelassene Skiflift- und Seilbahnbauten dem Verfall preisgegeben wurden. Diese bilden die Ausgangslage für eine entwerferische Untersuchung zur möglichen Wiederverwendung ehemaliger Portalmasten, Fachwerk- oder Polygonstützen.

Der eigentlichen entwerferischen Unterschung geht eine sorgfältige Analyse der Grundlagen voraus: Eine Bestandesaufnahme zur Uebersicht über die obsoleten Infrastrukturen sowie eine exemplarische Katalogisierung der unterschiedlichen Bauteile loten das generelle Potential für eine Rekomposition aus. Parallel wird für Kulturlandschaft am Mont Grand im Misox ein Nutzungskonzept entwickelt, um mit einer Rückforstung bzw. Pflege der Kastanienselven der aktuellen Verwaldung entgegenzuwirken. Mittels der Gründung einer Kastaniengenossenschaft soll die traditionelle Kastanienverarbeitung in einer Nutzungssynthese mit einem 'Rifugio' für zivilisationsmüde Ruhesuchende wiederaufgenommen und gestärkt werden.

Der Entwurf selbst umfasst eine neue Materialseilbahn, welche anhand ihrer Stationen  die Orte definiert: Vom Berg oberhalb der rückzuforstenden Kastanienselven kommend,  werden die Kastanien in das sogenannte 'Rifugio' auf halber Strecke transportiert, welches auf bestehenden Grundmauern in einem bestehenden Konglomerat ehemaliger Ställe und Dörrhäuschen auf bestehenden Grundmauern errichtet wird. Weiter talwärts nach Soazza führt die Materialseilbahn direkt in die Castagneria zur maschinellen Verarbeitung sowie Verkauf und Vermarktung der Kastanien in einem grösseren Massstab und Einzugsgebiet.

Die eigentliche Entwurfsrecherche wird glaubhaft und feinsinnig entwickelt. Es ist beeindruckend, wie die Wiederverwendung der Portalmasten zusammen mit der Typologie der traditionellen Häusen dank dem Mitteln der Collage einen frischen, durch die Direktheit überraschend selbstverständlichen architektonischen Ausdruck erreichen.

Abgerundet wird die Arbeit mit einer, für die Beurteilung der Projektidee nicht unwesentlichen, Grobkosten- und Renditeschätzung. Es zeigt sich, dass die Genossenschaft Mont Grand mit 3 Mio Investitionskosten rechnen müsste, welche die neue Materialseilbahn, das Rifugio Mont Grand sowie die Castagneria beinhalten.

Insgesamt beeindruckt die Arbeit von Sandro Hauser besonders aber durch die Breite der Recherche, welche in parallelen Strängen und unterschiedlichen Masstäben mit gleichbleibend hoher Sorgfalt, Engagement und Glaubhaftigkeit geführt wird.

Vor allem aber ist die Masterthesis bemerkenswert aufgrund der gesellschaftlichen Verantwortung, welche die Arbeit antreibt und immer wieder zum Ausdruck kommt. Es resultiert eine Entwurfsrecherche der leisen Töne, welche in Zeiten der "Stararchitektur", also im Gegensatz zum dominanten "Branding" durch Bauwerke, welche sich von ihrer Umgebung abzuheben suchen, gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Anstattdessen werden mit unermüdlichem Engagenment und viel Einfühlungsvermögen Orte geschaffen zur Stärkung der bestehenden Strukturen und zum Wohl der Gesellschaft.

Die vorliegende Masterthesis ist in Bezug auf die Eigenständigkeit und gesellschaftliche Relevanz der Themenwahl, Breite und Tiefgang der Untersuchung sowie das feinsinnige Entwurfsrepertoire beispielhaft.

 

Master-Thesis Adrian Kiesel

Beton wiederverwenden!

Das Potenzial einer Wiederverwendung bereits vergossener Betonstrukturen für eine nachhaltige Baukultur. Eine urbane Produktionsstätte für Zürich Hard.
Master-Thesis Constructive Project 
Frühlingssemester 2022

Dozierende Vorbereitung und Durchführung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger
Koreferenten: Franz Romero, dipl. Arch. ETH BSA SIA, und Marco Graber, dipl. Arch. ETH BSA SIA 

Anerkennung SIA Masterpreis Architektur 2022

 

Vorwort der Dozierenden

Global werden jährlich über 4,6 Milliarden Tonnen Zement verbraucht. Bei der Herstellung dieser Masse von Beton fallen 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an, was ca. 8% der weltweiten Treibhausgasmissionen entspricht. Hier erkennt die Masterthesis von Adrian Kiesel ein enormes Potential, um Ressourcen zu sparen und den CO2-Ausstoss der Bauindustrie zu verringern. Der Dringlichkeit der Situation, der Handlungsbedarfs der Bauindustrie und die Wiederverwendung von Bauteilen als Chance wird in einer umfassenden Analyse überzeugend dargelegt. Auf dieser Grundlage wird die exemplarische Entwurfsrecherche anhand der Bauaufgabe eines Gebäudes für innerstädtische Gewerbe- und Produktionsflächen auf dem ehemaligen Güterbahnareal in Zürich Hard geführt.

Die Untersuchung beginnt mit der akribischen Untersuchung von zehn dem Abbruch geweihten grösseren Gebäuden der Schweiz. Diese erfolgt sowohl qualitativ als auch quantitativ und endet in einer umfassenden Beurteilung und Inventarisierung der Bauteile. Als besondere Herausforderung erweist sich die Analyse der vor Ort gegossenen Betonstrukturen: mit welchen Arbeitsmitteln (Betonsäge oder Hydrocutter) und mit welchem Aufwand lassen sich diese in transportierbare und wieder neu zusammensetzbare Elemente zerlegen? Wie kann dabei die statische Funktion der Armierung aufrecht erhalten oder ersetzt werden? Wie können Masstoleranzen in neuen Strukturen aufgenommen werden?

Auf diese Fragen gibt die vorliegende Entwurfsrecherche sowohl technisch als auch architektonisch überzeugende Antworten. Vier unterschiedlich grosse, mehrgeschossige Hallen stehen parallel zum verbliebenen ehemaligen Anlieferungsgeleise des Güterbahnhofs. Deren Tragstrukturen werden in den Normgeschossen mit wiederverwendeten Betonteilen und im Dachgeschoss mit wiederverwendeten Stahlteilen konstruiert. Die Betonstrukturen werden mit Stahlmanschetten verbunden und mit Zugseilen ergänzt, um Toleranzen und aussteifende Zugkräfte aufzunehemen. Zwischen den Hallen nehmen schmale Trakte aus neuen Bauteilen die vertikale Erschliessung von Benutzer:innen und Medien auf. Die additive Anordnung gewährleistet eine grösstmögliche Flexibilität in der detaillierten Ausbildung der Baukörper je nach der Verfügbarkeit von Bauteilen und erlaubt auch eine weitgehende architektonisch Autonomie der einzelnen Gebäude. Jede der Hallen hat eine spezifische Konstruktionsweise, die aus den Bedingungen der wiederverwendeten Bauteile abgeleitet ist. Als wichtiger Schritt im Prozess erwies sich die Möglichkeit, die Bauteile der verschiedenen «Wirtsbauten» nach ihren Eigenschaften zu sortieren und in den Gebäuden neu zu konfigurieren. Hier eröffnet sich ein grosses Potential, das die Notwendigkeit einer Infrastruktur für die Aufbereitung und Lagerung der Teile verdeutlicht.

Die Fassaden, die als schützende Hüllen vielen konstruktiven Bedingungen unterworfen sind, werden in neuen Bauteilen gedacht. Der Entscheid, wo wiederverwendete Bauteile sinnvoll angewendet werden können und wo besser neue Bauteile eingesetzt werden, bedingt eine fundierte Kenntnis von Aufwand und Ertrag der unterschiedlichen Bauweisen. In einer beeindruckenden abschliessenden Berechnung von Kosten und Energieaufwand des Projektvorschlags liefert die Masterthesis eine entsprechende Grundlage. Für jedes der verwendeten Bauteile wird tabellarisch eine detaillierte Auflistung der unterschiedlichen anfallenden Aufwendungen für Ausbau, Transport und Einbau ermittelt und diese den entsprechenden Aufwendungen für Neubauteile gegenübergestellt. Das Ergebnis ist ernüchternd und hoffnungsvoll zugleich: Die Errichtung einer Tragstruktur mit wiederverwendetem Ortbeton erlaubt es, den CO2-Ausstoss um gut drei Viertel zu reduzieren - gleichzeitig erhöhen sich die Baukosten um einen Drittel. 

Die Arbeit BETON WIEDERVERWENDEN stellt eine glaubhafte Untersuchung zur hochaktuellen Fragestellung des ressourcenschonenden Bauens dar. Sie zeigt vielversprechende Strategien zur Bauweise mit wiederverwendeten Ortsbetonbauteilen auf und weist diese anhand eines städtebaulich, typologisch und architektonisch überzeugenden Projekts glaubhaft nach. Die exemplarische synchrone Arbeitsweise in allen Massstäben, die umfassende Darstellung mittels detaillierten Axonometrien und einer Vielzahl physischer Modelle und nicht zuletzt die umfassende analytische Auswertung liefern eine fundierte Grundlage, um einen politischen Prozess zur Förderung dieser Bauweise anzustossen.