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Overcoming Language Barriers in Homecare Nursing (OLBiHN)

Welchen Einfluss haben Sprachbarrieren auf die Kommunikation zwischen Pflegefachpersonen und Patientinnen und Patienten in der Spitex?

Forschungsfrage

Welchen Einfluss haben Sprachbarrieren auf die Kommunikation zwischen Pflegefachpersonen und Patientinnen und Patienten in der Spitex? Dieser Frage ging ein interdisziplinäres Team der ZHAW (Departemente Gesundheit & Angewandte Linguistik) in einem vom Schweizerischen Nationalfonds, der Ebnet-Stiftung und der Spitex unterstützten Projekt nach. Die qualitative Studie verbindet verschiedene Datenquellen, um das Vorkommen und den Einfluss von Sprachbarrieren sowie erfolgreiche Strategien der Pflegefachpersonen zur Überwindung von Sprachbarrieren zu untersuchen.

Ausgangslage

Sprachliche Verständigung und eine erfolgreiche Kommunikation sind von zentraler Bedeutung für eine effiziente und effektive pflegerische Betreuung. Wenn Patientinnen und Patienten aufgrund limitierter Deutschkenntnisse nur unzureichend mit dem Pflegepersonal kommunizieren können, entstehen sogenannte Sprachbarrieren. Der Pflegeprozess und der Aufbau einer professionellen Beziehung können dadurch eingeschränkt werden und die Belastung für die Betroffenen steigt. Auch die Spitex betreut zunehmend mehr Patientinnen und Patienten mit limitierten Deutschkenntnissen. Dies aus zwei Gründen: Einerseits führt die demografische Entwicklung zu einer steigenden Anzahl betagter Migrantinnen und Migranten. Andererseits verkürzen die seit Januar 2012 eingeführten Fallpauschalen die Spitalaufenthaltsdauer und führen voraussichtlich zu einer erhöhten Nachfrage an poststationärer pflegerischer Versorgung. Das Phänomen der Sprachbarrieren wurde bislang jedoch lediglich für den stationären Bereich beschrieben, für die ambulante pflegerische Versorgung (Spitex) liegen im deutschsprachigen Raum kaum Daten vor.

Ziele und Nutzen

In einem interdisziplinären Projekt untersuchen Sprach- und Pflegewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sowohl das Vorkommen und Ausmass von Sprachbarrieren als auch deren Auswirkungen im Kontext der Spitexpflege. Zudem soll ermittelt werden, wie Pflegefachpersonen mit Situationen umgehen, in denen Sprachbarrieren vorkommen, und welche Strategien sie einsetzen, um Sprachbarrieren – im besten Falle – erfolgreich zu überwinden.

Auf der Grundlage der gewonnenen Ergebnisse im Arbeitsfeld der Spitex kann der Handlungsbedarf skizziert und begründet werden. Die Resultate bieten eine Basis, um konkrete Unterstützungsangebote für kritische Situationen anzubieten. Dabei werden die einzelnen Schritte des Pflegeprozesses gezielt berücksichtigt. In einem nächsten Schritt sollen Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden, in denen Pflegefachpersonen im ambulanten Bereich ihre Kompetenzen im Hinblick auf die Herausforderungen in einem mehrsprachigen Arbeitsumfeld erweitern können.

Methode

In dieser Studie wird mit einem qualitativen Forschungsansatz (Grounded Theory, Diskursanalyse) gearbeitet. Die benötigten Daten (Beobachtungen, Feldnotizen, Einzel- und Gruppeninterviews) werden in den Spitex-Diensten der Kantone Thurgau, Zürich und Aargau erhoben. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung des Teams wird eine Synthese von pflege- und sprachwissenschaftlichen Analysen möglich. Somit entsteht eine neue Perspektive auf diese komplexe Thematik.

Zusammenfassung der wichtigsten Forschungsergebnisse

Wo treten Sprachbarrieren auf und welche Indikatoren gibt es dafür?

Sprachbarrieren treten unter anderem in Gesprächssequenzen zu medizinischen Belangen auf (z.B. in Abklärungen oder Instruktionen zur Medikation), da diese entweder mit Veränderungen verbunden sind oder mit Verbindlichkeiten einhergehen, die eine Absicherung des Verstehens zwingend notwendig machen. In weniger akuten und stärker routinierten Situationen (z.B. Unterstützung beim Duschen) sind Sprachbarrieren hingegen seltener. Neben Situationen zu medizinischen Belangen können Situationen zur Organisation der Pflegeeinsätze (z.B. Terminverschiebungen) eine sprachliche Herausforderung darstellen. Solche Situationen setzen eine explizite Absicherung des Verstehens voraus, da sie Konsequenzen für die weitere Planung haben. Es kann leicht zu Verzögerungen (Schleifen im Gespräch) kommen, wenn die Pflegefachperson das Verstehen aufgrund uneindeutiger Rückmeldungen von Patientinnen und Patienten durch zusätzliches Nachfragen absichern muss.

Des Weiteren treten sprachliche Herausforderungen in emotionalen Gesprächssituationen auf, insbesondere wenn Patienten und Patientinnen dabei in eine für die Pflegefachperson unverständliche Sprache wechseln. Ausserdem kann es bei der Äusserung von Anliegen durch Patientinnen und Patienten zu Schwierigkeiten kommen, wenn die Anliegen unerwartet früh (z.B. noch vor einer Begrüssung) oder in einer stark gefühlsbetonten Form geäussert werden (z.B. bei einer Darstellung von Schmerz). Interessanterweise stellt die Verwendung von Fachvokabular in den hier untersuchten Daten kein sprachliches Hindernis dar. Die Pflegefachpersonen verzichten in den Gesprächen mit den Patientinnen und Patienten weitgehend auf Fachvokabular bzw. benutzen Begriffe, die den Patientinnen und Patienten bekannt sind.

Für das Auftreten von Sprachbarrieren lassen sich in den untersuchten Gesprächen neben den bereits genannten Schleifen weitere Indikatoren ausmachen. Dazu gehören explizite Äusserungen zur Absicherung des Verstehens durch die Pflegefachpersonen (z.B. verstehen Sie das?). Zudem setzen Pflegefachpersonen zur Verständnisabsicherung gerne Reformulierungen ein – also Umformulierungen der Äusserungen der Patientinnen und Patienten, die durch eine Ja-/ Nein-Antwort von den Patientinnen und Patienten bestätigt oder korrigiert werden können. Auch der Wechsel in eine andere Sprache (sogenanntes Code-Switching) durch die Pflegefachperson oder durch Patientinnen und Patienten kann ein Indikator dafür sein, dass sprachliche Hürden vorliegen.

Welche Strategien setzen Pflegefachpersonen ein, um Sprachbarrieren zu überwinden?

Trotz der oben beschriebenen sprachlichen Herausforderungen ist in den untersuchten Pflegesituationen deutlich geworden, dass die Gespräche zwischen den Pflegefachpersonen und den mehrsprachigen Patientinnen und Patienten zu einem grossen Teil gut gelingen. Dies hängt damit zusammen, dass die Pflegefachpersonen über ein breites Spektrum an sprachlich-kommunikativen Strategien verfügen, die sie erfolgreich einsetzen, um die Verständigung im Gespräch mit den Patientinnen und Patienten abzusichern und Missverständnisse zu minimieren.

  • Wenn immer möglich werden Sprachwechsel (Code-Switching) in die Erstsprache der Patientinnen und Patienten oder in eine gemeinsame Drittsprache (z.B. Englisch) eingesetzt, um die Verständigung im Gespräch sicherzustellen.
  • Der Einsatz von situativen Sprachwechseln kann – zusätzlich zur Absicherung des Verstehens – aber auch zur Strukturierung und Organisation des Gesprächs beitragen. Z.B. kann der Wechsel einer Patientin / eines Patienten in ihre / seine Erstsprache als Zeichen dafür verstanden werden, dass das von ihr / ihm Gesagte für die Situation relevant ist und von der Pflegefachperson weiter vertieft werden sollte.  Die Verwendung einzelner Wörter in der Sprache der Patientinnen und Patienten (z.B. eine Begrüssung oder das italienische „bravissima“) kann sich positiv auf die Beziehungsgestaltung auswirken. Eine ähnliche Funktion erfüllen Sprachlernprozesse, bei denen Pflegefachpersonen einzelne Begriffe mithilfe der Patientinnen und Patienten erwerben.
  • Bei Verstehensschwierigkeiten formulieren Pflegefachpersonen die Aussagen der Patientinnen und Patienten gerne in Form einer Ja-Nein-Frage um, damit sie entweder eine Bestätigung oder eine Korrektur durch die Patientin / den Patienten erhalten.
  • Frühes Unterbrechen von Patientinnen- und Patienten-Äusserungen wird, wenn möglich, vermieden, um ihnen ausreichend Zeit für die Formulierung zu geben.  Pflegefachpersonen erfragen das Wohlbefinden von Patientinnen und Patienten früh im Gespräch oder schaffen zu Beginn des Besuchs Leerstellen (Gesprächspausen), damit Patientinnen und Patienten allfällige Bedürfnisse und Anliegen möglichst früh einbringen können.
  • Wenn die Möglichkeit für Alltagsgespräche aufgrund der mehrsprachigen Situation eingeschränkt ist, kommentieren manche Pflegefachpersonen ihr Vorgehen in ihrer Erstsprache (meist Deutsch), um längere Schweigephasen zu vermeiden.  Pflegefachpersonen versuchen sprachliche Herausforderungen selbständig in der Situation zu klären, ohne auf Dolmetsch-Dienstleistungen vor Ort oder via Telefon zurückzugreifen.
  • Wenn Angehörige / Bekannte mit höheren Sprachkompetenzen (im Deutschen oder einer gemeinsamen Drittsprache) anwesend sind, werden diese bei anspruchsvollen Situationen als Vermittlerinnen / Vermittler beigezogen. Besteht diese Möglichkeit nicht, werden weitere Beteiligte (z.B. Pflege-Mitarbeiter, Hausärztin etc.) telefonisch beigezogen.

Wie erleben Pflegefachpersonen Sprachbarrieren in ihrem beruflichen Alltag?

Gemäss den durchgeführten Expertinnen- und Experten-Interviews beeinflusst die Mehrsprachigkeit sämtliche Phasen des Pflegeprozesses (Vorbereitung, Durchführung und Evaluation). Laut Aussagen der befragten Pflegefachpersonen kann die Berufserfahrung für die erfolgreiche Bewältigung von sprachlichen Herausforderungen ein wichtiger Faktor sein. Weiter angeführt werden zusätzliche Fallbesprechungen mit Arbeitskolleginnen und -kollegen, um das Verhalten von Patientinnen und Patienten besser einschätzen und voraussehen zu können. Zudem seien detaillierte Pflegedokumentationen bezüglich der Lebenssituation und des Pflegeprozesses eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Pflege in mehrsprachigen Situationen. Eine verstärkte Konzentration auf Beobachtungen sowie eine gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber Umgebungsbedingungen und gegenüber dem Einsatz von Mimik und Gestik der Patientinnen und Patienten werden ebenfalls als Reaktion auf die sprachlichen Herausforderungen genannt.

Als Einschränkung für die Pflege werden Sprachbarrieren gemäss den befragten Pflegefachpersonen dann wahrgenommen, wenn die systematische Beurteilung von Krankheitssymptomen und Anliegen von Patientinnen und Patienten erschwert ist. Als besonders herausfordernd wird der Umgang mit Sprachbarrieren in den folgenden drei Situationen beschrieben: Bei instabilem Gesundheitszustand der Patientin / des Patienten, in konfliktgeladenen Pflegebeziehungen sowie in Instruktions-Situationen, die eine Veränderung des Verhaltens der Patientin / des Patienten verlangen (z.B. Einhaltung der selbständigen Medikamenteneinnahme). In diesen anspruchsvollen Situationen können Angehörige – sofern anwesend – eine Vermittlungsrolle zwischen der Pflegefachperson und der Patientin / dem Patienten übernehmen.

Die Bewältigung von Sprachbarrieren wird von den befragten Pflegefachpersonen in den folgenden Situationen als besonders herausfordernd beschrieben: Bei hoher Arbeitsbelastung, bei mangelnder Kontinuität in der Pflege und beim Einsatz von wenig erfahrenen Pflegefachpersonen. Die Pflegefachpersonen nannten als Konsequenz solcher Situationen eine stärkere Fokussierung auf den Pflegeauftrag (d.h. eine TaskOrientierung im Gegensatz zu einer Patientinnen- und Patienten-Orientierung). Eine stärkere Task-Orientierung könne die Qualität der Pflege beeinträchtigen, da die Kommunikation durch einen direktiven Stil bestimmt sei. Anliegen von Patientinnen und Patienten würden weniger ausführlich behandelt und Instruktionen von Pflegefachpersonen von den Patienten und Patientinnen entsprechend weniger adäquat befolgt.

Projektpartner

Projektorganisation

Projektteam Forschung und Entwicklung Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IUED):

Projektteam Forschung und Entwicklung Institut für Pflege:

  • Prof. Dr. Lorenz Imhof, PhD, RN
    Professor für integrierte gemeindenahe Versorgung, Gesundheit
  • Prof. Dr. Heidi Petry, PhD, RN
    Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin, Gesundheit
  • Dr. Sebastian Probst, DClinPrac, RN
    Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent, Gesundheit
  • Dr. Susanne Knüppel Lauener, Dr. rer. medic.
    Dozentin, Gesundheit
  • Prof. Dr. Daniela Händler-Schuster, Dr. rer. medic. , RN
    wissenschaftliche Mitarbeiterin, Gesundheit

Finanzierung: 
Das Projekt wird finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds und die Ebnet-Stiftung.

Kontakt:
Telefon: +41 (0) 58 934 60 60
E-Mail: ulla.kleinberger@zhaw.ch